Die Nato kommt, die Serben gehen

Tausende flüchten aus Angst vor Racheakten. Radikalnationalisten verlassen die Milosevic-Regierung  ■ Aus Belgrad Andrej Ivanji

Die Nato kommt, die Serben gehen. Während die Albaner den Einmarsch der internationalen Friedenstruppen in das Kosovo begeistert als Befreiung feiern, pakken serbische Zivilisten hastig die Koffer. Es sind die schon von flüchtenden Albanern bekannten Bilder: Vollbepackte Traktoren und Autos verstopfen die Straßen des Kosovo, kummervolle Gesichter von Menschen, die panisch ihre Heimat verlassen und ins Ungewisse gehen.

Monatelang waren es die Albaner, nun sind es die Serben. Laut Agenturen sollen zwischen 15.000 und 30.000 Serben auf dem Weg nach Serbien und Montenegro befinden. Laut UNHCR sind es erheblich weniger. In jedem Fall aber fürchten Tausende von Serben im Kosovo nun die Rache der albanischen Bevölkerung und der UÇK, Sie schließen sich deshalb den zurückziehenden Kolonnen der jugoslawischen Armee und der serbischen Polizisten an.

„Mein Bruder und seine Familie haben gestern Prizren verlassen. Kein Serbe vertraut der Nato, die uns über zwei Monate brutal bombardiert und die UÇK direkt aus der Luft unterstützt hat. Da können die staatlichen Medien noch lange über angebliche UN-Friedenstruppen im Kosovo plappern, die die Serben angeblich beschützen würden“, sagte der 40jährige, aus dem Kosovo stammende Zahnarzt Jovan, der in Leskovac an der Grenze zum Kosovo auf seine Verwandten warten will, zur taz. Was wüßten Westeuropäer und Amerikaner schon über Blutrache, über Angst und Haß? Sehr bald würde das Kosovo „serbenfrei“ sein, glaubt er.

Die regimenahen serbischenMedien vermeiden es pingelig, das in Serbien verhaßte Wort „Nato“ im Zusammenhang mit dem Einmarsch in den Kosovo auch nur auszusprechen. Immer noch wird der Einzug der „UN-Friedenstruppen“ als ein Sieg der „klugen Friedenspolitik“ des jugoslawischen Präsidenten Slobodan Miloevic gefeiert, die ein „sicheres und friedliches Leben“ aller Bürger des Kosovo unter der Obhut der Vereinten Nationen ermöglicht hätte.

Die in Serbien eingetroffenen Soldaten glorifiziert das staatliche Fernsehen als heldenhafte Sieger. Die serbischen Flüchtlingskolonnen werden immer noch totgeschwiegen.

„In Prizren, Decani, Suva Reka und Pec gibt es keine Serben mehr“, erklärte Randjel Nojkic, Funktionär der „Serbischen Erneuerungsbewegung“, dessen Parteivorsitzender, Vuk Drakovic, ständig zwischen dem Regime und der Opposition wechselt. In Vranjevac, einem Vorort von Pritina, hätten die UÇK am Montag zwei jugoslawische Soldaten, einen Polizisten und eine Zivilisten umgebracht.

Aus Pritina flüchteten die Serben nur deshalb immer noch nicht massenhaft, weil am Samstag durch die Provinzhauptstadt eine russische KFOR-Einheit gefahren sei. Nur den Russen würden die Serben vertrauen, doch diese hätten sich seit Samstag nicht mehr gezeigt.

Die KFOR hätte bisher die meisten Straßen im Kosovo gar nicht gesichert, und in Kosovska Mitrovica seien weder die Briten eingetroffen, noch die Russen, wie sie es versprochen hätten. Die Serben wollten einfach nicht abwarten, bis das entstandene Sicherheitsvakuum gefüllt wird.

Die serbische Regierung hat eine ganze Anzahl von Ministern in das Kosovo geschickt, um die für das Regime peinliche serbische Flüchtlingswelle aus der „Wiege des Serbentums“ aufzuhalten.

„Es gibt gar keinen Grund für Angst“, versuchte Zoran Andjelkovic, Vorsitzender der serbischen Übergangsregierung im Kosovo die lokalen serbischen Politiker zu überzeugen. Wie man inoffiziell erfährt, sollen Aufnahmelager an der Grenze zu Serbien gegründet werden, aus denen die Serben in das Kosovo zurückgeschickt werden sollen, wenn die KFOR die Kontrolle in der ganze Provinz übernimmt und die UÇK entwaffnet.

Die Radikalen des Ultranationalisten Vojislav eelj sind derweil gestern aus der serbischen Regierung der „Volkseinheit“ zurückgetreten. eelj bezeichnete den Einmarsch der internationalen Friedenstruppen als eine „Besetzung“ Serbiens.

Ohne eeljs Abgeordnete hat die regierende Koalition zwischen den Miloevic-Sozialisten und der JUL, ihrer von Miloevic' Gattin Mira Markovic angeführten Schwersterpartei, keine Mehrheit im serbischen Parlament. Serbien steht vor einer Regierungskrise.

„Das Morden und die Entführungen von serbischen Zivilisten und Polizisten von albanischen Terroristen genießen anscheinend die Unterstützung der westlichen Länder, angeführt von Amerika und Deutschland“, erklärt eelj. Niemals würden sich seine Radikalen mit der Anwesenheit auch nur „eines einzigen bewaffneten Soldaten des Aggressors auf serbischem Territorium abfinden“.

eeljs Radikale sind die stärkste Einzelpartei in Serbien und können jederzeit mit etwa einer Million Wähler rechnen. eelj verläßt die Regierung, der enorme soziale Probleme bevorstehen, und die nach dem ersten Friedensrausch dem Volk erst wird erklären müssen, weshalb der zerstörende Krieg überhaupt nötig war, wenn nun Serben aus dem Kosovo flüchten müssen. Der Meisterdemagoge eelj, der glänzend mit nationalen und sozialen Parolen umgehen kann, lauert nun auf seine Chance. Miloevic steht vor einer gefährlichen Machtprobe.

In Belgrad wird die für das Regime von Milosevic peinliche serbische Flüchtlingswelle aus dem Kosovo totgeschwiegen