„Jetzt will alle Welt beweisen, daß es Hinrichtungen gegeben hat“

■ Alexandre Levy von „Reporter ohne Grenzen“ fordert von der Nato mehr Schutz für Journalisten und warnt vor Greuelkonkurrenz der Medien

taz: Wochenlang gab es aus dem Kosovo so gut wie keine direkten Informationen. Jetzt, mit dem Einrücken der Kosovo-Friedenstruppe KFOR, haben auch wieder Journalisten die Möglichkeit, von vor Ort zu berichten. Mindestens zwei von ihnen wurden am Wochenende getötet.

Alexandre Levy: Das Problem des Konfliktes im Kosovo war, daß dieser Konflikt noch bis vor wenigen Tagen ohne Zeugen ausgetragen wurde. Das sind aber die schlimmsten Konflikte, die da stattfinden, die praktisch hermetisch abgeriegelt sind. Das bedeutet, daß einerseits die schlimmsten Greueltaten möglich sind, andererseits die schlimmsten Gerüchte kursieren, die nicht verifizierbar sind. Die Wahrheit kommt erst viel später ans Licht. Jetzt ist man von einem Extrem ins andere gefallen. Hunderte von Journalisten sind ins Kosovo quasi eingefallen. Und gerade sie sind außerordentlich gefährdet, weil sie unbewaffnet sind. Die Nato muß sich dieser Gefahr für die Journalisten bewußt sein und muß alles für ihre Sicherheit tun.

Ist sich die Nato dieses Risikos nicht in ausreichendem Maße bewußt?

Die Militärs wissen genau, welcher Gefahr sie sich aussetzen, aber was die Berichterstatter angeht, berücksichtigen sie das nicht ausreichend. Auf der anderen Seite hat die Nato ihrerseits ein großes Interesse daran, daß ihre Aktionen von Journalisten begleitet werden. Aber es steht zu befürchten, daß die Journalisten im Moment ganz außergewöhnlich gefährliche Bedingungen für ihre Arbeit vorfinden.

Verantwortliche der Nato haben kritisiert, daß sich die Journalisten nicht immer an die Vorschriften halten und sich dadurch selbst in Gefahr begeben.

Das ist ja gerade das Problem dieser Übergangsphase im Kosovo. Während des Bombardements hat es keinen einzigen toten Journalisten in der Region gegeben, weil sie nicht frei arbeiten konnten. Jetzt besteht eine Übergangsphase, eine Art Halbkonflikt, und das ist auch gleichzeitig die schwierigste Periode. Denn es gibt noch keine festen Regeln. Viele verschiedene Akteure und Fronten treffen jetzt aufeinander. Überdies ist klar, daß vor allem westliche Reporter gerade bei den Serben viele Ressentiments auslösen. Deshalb ist das Militär besonders gefordert und muß seine Verantwortung wahrnehmen.

Verlangen Sie da nicht zuviel von den Militärs?

Den totalen Schutz gibt es nicht, ein Restrisiko bliebt immer, wenn man über einen bewaffneten Konflikt berichtet.

Nach vorliegenden Informationen wurden die beiden getöteten Journalisten unter dem Vorwand, ihnen Massengräber zeigen zu wollen, in einen Hinterhalt gelockt.

Jetzt will natürlich alle Welt beweisen, daß es Massenhinrichtungen, Konzentrationslager und Greueltaten gegeben hat. Da spielt auch wieder die Konkurrenz zwischen den Medien eine Rolle, denn jeder will als erster über diese Geschichten berichten. Das wird auch in der nächsten Zeit so bleiben. Deshalb ist es gerade jetzt besonders wichtig von seiten der Militärs, die Journalisten zu warnen und auf die Risiken aufmerksam zu machen.

Interview: Barbara Oertel