Pröööt!  ■   Von Joachim Schulz

Nun ist es wieder soweit: An jeder Straßenecke streicht einem das blaue Band durchs Gesicht, welches Gevatter Frühsommer durch die Lande flattern läßt. Schon sind die Pullover in die Mottenkiste gestopft, und eigentlich sollte man meinen, daß auch die böse Sydney-Grippe sich endlich von hinnen geschlichen hat.

Doch was kriege ich zu hören, als ich an einem sonnenverwöhnten Nachmittag meinen alten Gefährten Caspar anrufe, um ihn für einen frohgelaunten Biergartenausflug zu gewinnen? Nichts als ein sumpfig-nasales Blubbern, an welches sich ein Tröten anschließt, das man seit dem Hinscheiden des letzten Mammuts auf unserer Erdenkugel nicht mehr gehört hat.

„Heunubfen! Die Ponnen fniegen!“ preßt er mit gequetschter Stimme hervor, und auch beim nächsten Telefonat bekomme ich es nicht mit einem quietschfidelen Gesprächspartner zu tun: Zwar hat sich Daniel anders als Caspar mit einem medikamentösen Erstschlag vor den übelsten Symptomen der Pollenallergie geschützt. Bedauerlicherweise aber führen die Arzneien dazu, daß seine Reaktionsgeschwindigkeit an diejenige von Topfpflanzen angeglichen wird, so daß man, wenn Daniel einen Satz formuliert, durchaus den Eindruck gewinnen kann, daß er jedes einzelne Wort im Duden nachschlagen muß.

Indessen sind die beiden für jede Ablenkung von ihrem kreuzmaladen Zustand dankbar, und deshalb sitzen wir keine halbe Stunde später mit großen Hefeweizen-Pokalen in einer stadtbekannten Freiluft-Trinkanstalt. Schade allerdings ist, daß ich die Konversation fast ganz alleine bestreiten muß. Versucht nämlich Daniel, eine launige Zwischenbemerkung zu machen, bezieht sich das regelmäßig auf einen Gegenstand, dessen Behandlung bereits mehr als zehn Minuten zurückliegt. Auch könnte man, während er einen Schwank aus seinem Leben erzählt, getrost Zigaretten holen gehen, ohne etwas Wesentliches zu verpassen.

Und Caspar? Der wird nach jedem dritten Satz von der Detonation eines Mehrfach-Sprengkörpers in seinem Riechorgan heimgesucht und ist anschließend derart paralysiert, daß er nicht einmal mehr seinen Vornamen korrekt anzugeben wüßte. Für Furore allerdings sorgt seine Angewohnheit, nach einem solchen Anfall einen völlig durchfeuchteten Rotzlappen aus der Tasche zu ziehen und diesen vor Gebrauch wie eine Tischdecke auszuschütteln.

Schon weichen die Menschen in unserer Nähe panisch zurück, und in ihren Augen steht unverkennbar „Die Pest! Es ist die Pest!“ geschrieben. Es dauert deshalb nicht lange, bis der Wirt in Begleitung zweier imposanter Haudraufs erscheint, in deren Augen gleichfalls etwas geschrieben steht – nämlich: „Angreifen, zupacken, Knochen zerknacken!“

Versteht sich mithin, daß wir uns nicht mit langwierigen Diskussionen aufhalten, als uns der Schankstubeninhaber zuraunt: „Zwei Nachrichten hab' ich für Euch. Die erste: Eure Getränke gehen aufs Haus. Die zweite: Ihr verschwindet jetzt, und zwar dalli!“ Statt dessen packen wir unsere Taschentücher ein und pilgern los, um herauszufinden, ob wir mit dieser schönen Masche vielleicht auch woanders noch ein Freibier kriegen.