■ Schnittplatz
: Abends Strawinsky

Sie gehören zur Zeit wie barbusige Frauen zur Bild: die Partnerschaftsanzeigen. Da suchen seit Jahr und Tag geschmackvolle Damen nicht minder niveauvolle Herren, etwa die Ärztin, die unter der Überschrift „Der Sinn des Wurzelns ist das Wachsen“ ein „treues Pendant“ begehrt. Und, man muß es gestehen, unsereins hat sich immer nur lustig gemacht über diese sprachlich nur notdürftig elaboriert gehaltene Kontaktbörse, wo Leiber andere Leiber suchen.

Nur eine Sorte von Menschen durfte dort kein Forum finden, die, sagen wir es offen: Schwulen und Lesben. Zwar berichtete die Zeit gerne über Not & Elend des Homosexuellseins an und für sich, öffnete die Seiten für gutgemeinte Berichte über böse Eltern, die ihre Sprößlinge partout im Stich lassen, wenn sie im Coming-out sind. Zeit-Leser, auf gemäßigstes Mitfühlen in allen Lebenslagen geeicht, mochten freilich ihren „Heiratsmarkt“ nicht kontaminiert sehen durch Homos beider Sorten, wie noch vor kurzer Zeit die Anzeigenabteilung des Blatts einräumte.

Das hat sich nun geändert, und zwar seit einigen Wochen. In der neueröffneten Rubrik „Zusammenleben“ dürfen auch weibliche und männliche Homos annoncieren. Die meisten der raren Angebote klingen so blöd wie die heterosexuellen Annoncen, etwa wie „Abends Strawinsky, am Wochenende lange Spaziergänge ...“ oder „Feminine, kunstinteressierte Abenteurerin ...“ Aber das muß man ja nicht der Zeit vorhalten: Was zählt, ist schließlich die Geste.

Allerdings irritiert uns schon, daß die Zeit offenbar so konsterniert von ihrer eigenen Innovation ist, daß sie vom Schema „Mann sucht Frau/Frau sucht Mann“ noch nicht lassen mag – und die Geschlechtszugehörigkeit gehörig durcheinandergebracht hat. In der jüngsten Ausgabe beispielsweise firmiert die einzige Annonce einer lesbischen Leserin unter einem männlichen Geschlechtssymbol; zum Ausgleich ist das schwule Pendant unter dem doppelten Weiblichkeitszeichen zu finden. Wir glauben jetzt einfach mal so, daß die Zeit uns nicht heterosexualisieren will. Jan Feddersen