Wieder Sprüche

■  Die „FAZ“ macht sich zum Sprachrohr des mißverstandenen Dichters Martin Walser

Martin Walser hat es schwer. Stets, wenn er sich zur Nazivergangenheit äußert, wird er falschverstanden oder zitiert. Das war schon bei seiner Frankfurter Paulskirchen-Rede so. Selbstzweiflerisch vorgetragene Bedenken zur Erinnerungskultur wollte Walser kundtun – und mußte verwundert feststellen, daß Bubis und andere ihm die Invektiven gegen das von „Meinungssoldaten“ beherrschte Klima übelnahmen.

Kürzlich hat Walser in Berlin-Treptow wieder mal gegen das Berliner Holocaust-Mahnmal polemisiert, das er, wie schon in Frankfurt, als „fußballfeldgroßen Alptraum“ bezeichnete. Streit gibt es nun um die Frage, ob Walser, wie Harald Martenstein im Tagesspiegel berichtete, Demonstrationen gegen das Mahnmal befürwortete. Walser hat dies gestern in der FAZ entschieden bestritten: „An dieser Nachricht ist nicht Wahres.“ Er habe nur dafür votiert, daß nicht die Bundestagsabgeordneten, sondern „die Berliner entscheiden“ sollen.

Eine doppelbödige Klarstellung: die Berliner? Der Senat hatte die Entscheidung an den Bundestag delegiert, das Abgeordnetenhaus hatte sich 1998, ganz allgemein, für ein Mahnmal ausgesprochen. Wen also meint Walser? Will er eine Volksabstimmung in Berlin? Soll es Wahlkampfthema sein? Man weiß es nicht.

Walser verteidigt sich in der FAZ mit dem Hinweis, daß er, vor die Aufgabe gestellt, im Bundestag über das Mahnmal zu befinden, nicht wisse, wie er entscheiden würde. Das zeige, wie fern ihm die Idee liege, dagegen zu demonstrieren. Wie dieses Zögern zu seiner unbestritten heftigen Ablehnung des Mahnmals paßt, gehört zu den Rätseln der Walserschen Weltsicht. Andreas Nachama, Vorsitzender der Jüdischen Gemeinde in Berlin, dazu lakonisch: „Walser sagt nicht, was er meint, und meint nicht, was er sagt.“

Am Ende von Walsers geschichtspolitischen Einmischungen steht stets das gleiche: eine seltsame Privatisierung des öffentlichen Diskurses. Es geht nicht mehr um die Sache an sich, sondern darum, was der Schriftsteller warum und wie gesagt und gemeint haben könnte.

Die FAZ, mehr und mehr als Sprachrohr des stets mißverstandenen Dichters, kritisierte alle „Spediteure des Gerüchts“, die mit Walsers Version nicht übereinstimmen. Auch geographisch ist die FAZ nicht ganz auf dem neuesten Stand: „Treptow bei Berlin“ (FAZ) gehört seit 1920 zu Berlin (was damals übrigens per Volksabstimmung entschieden wurde).

Am Freitag nächster Woche wird der Bundestag über das Mahnmal entscheiden. Darum ein Vorschlag zur Güte: Wie wäre es denn, wenn Martin Walser seinen häufig geäußerten Vorsatz, nichts mehr öffentlich zum Thema beizutragen, bis dahin beherzigen würde? Stefan Reinecke