Deadlines und Verzweiflung

■  An Pavement-Platten wird immer bis zum letzten Moment geschrieben, und doch wird der Rock immer runder. Mit „Terror Twilight“ konsolidieren sie sich auf höchstem Niveau

Steve West ist Trommler. Er lebt in einer kleinen Universitätsstadt, die „noch nicht allzu hip ist“. Aber das kann bald passieren. Dann wird er wohl wegziehen müssen, sagt er.

Steve West ist Trommler. Er spielt in einer kleinen Rockband, die noch nicht allzu berühmt ist. Aber das kann bald passieren. Nach ihrer neuen Platte „Terror Twilight“ werden Pavement vielleicht zwangsumgesiedelt in den Mainstream.

Der Durchbruch in finanziell tatsächlich lukrative Bereiche wird Pavement nicht zum ersten Mal prophezeit. Bis heute kann die Band immerhin von der Musik leben und Sänger Steve Malkmus es sich leisten, immer dann in eine neue Stadt umzuziehen, wenn die Nachbarn beginnen, ihn auf der Straße zu grüßen. Hallo, Indierock!

Nun aber gibt es „Terror Twilight“ und einen Song wie „Major League“, dessen Refrain von Musikredakteuren mitten in den Büroräumen dieser Zeitung selig lächelnd vorgetragen wird. Oder das wundervoll hingetupfte „Ann Don't You Cry“. Oder „... And Carrot Rope“ mit seinem viktorianischen Ungetüm von Melodie. Oder „Cream of Gold“, das sich auch ungefähr so anhört. Oder, oder, oder ...

Es gibt viele gute Gründe, daß Pavement demnächst durch mittelgroße Fußballstadien touren werden. Diese Gründe heißen: perfekte Popsongs mit zartbitteren Melodien. Aber die gab es auch schon früher. Damals zum Beispiel, als Pavement mit „Crooked Rain, Crooked Rain“ viel Aufregung in der Wohngemeinschaft verursachten. Die Rettung, die Hoffnung, die Zukunft von Rock glaubten viele gesehen zu haben. „Wäre ,Crooked Rain‘ drei Jahre später rausgekommen“, glaubt Bassist Mark Ibold, „hätten wir eine Menge Radiohits gehabt, da wurde diese Art von Musik richtig populär.“

Drei Jahre später aber waren Pavement schon woanders. Anstatt einen angemessen eingängigen Nachfolger abzuliefern, der den Hype bedient hätte, kamen sie mit „Wowee Zowee“ daher, einem sperrigen, sich dem Konsum verweigerndem Stück Ablehnung sämtlicher verfügbarer Rockklischees. Diese Platte war, sagen sie heute, eine Reaktion auf die Reaktionen auf „Crooked Rain“. Die Zukunft des Rock hatte gesprochen, und sie hatte gesagt, ihr könnt mich alle mal. In Indierock-Zusammenhängen aber wurde die Platte trotzdem geschätzt. „Einige Leute waren verwirrt von ,Wowee Zowee‘“, erzählt Ibold, „einige Leute liebten es, von ,Wowee Zowee‘ verwirrt zu sein.“

Inzwischen wird immerhin offensiv mit dem Rockstardasein kokettiert. Zwar lebte die Band schon immer verstreut in den ganzen USA, wurden Tapes hin und her geschickt und sich nur zu Plattenaufnahmen und Proben vor Tourneen getroffen, aber heute lacht West, „die meisten Bands arbeiten so, wenn sie etabliert sind“, bei Led Zeppelin oder den Rolling Stones sei das auch nicht anders.

Anders bei Pavement aber ist, daß die neue Platte überraschend ist, weil sie nicht überraschend ist. Vom Vorgänger „Brighten The Corners“ aus gesehen, ist „Terror Twilight“ eine logische Weiterentwicklung hin zu einem weicheren Sound, eingängigeren Melodien und prinzipiell besserer Verwertbarkeit. Es ist Konsolidierung auf höchstem Niveau, kein Widerstand mehr gegen Erwartungen, nicht einmal gegen die eigene Vergangenheit. Die Referenzen in der US-Presse: Byrds, Pink Floyd, ja sogar Tom Petty. Danach kommt nur mehr der Tod. Oder der Massenerfolg. Wenn es nicht so aus der Mode wäre, würde man ihnen Ausverkauf vorwerfen, aber ausverkauft habe man, gestand Malkmus unlängst, ja eigentlich schon mit dem Debüt „Slanted and Enchanted“. Seitdem sei man aber glücklicherweise „generell etwas relaxter“ geworden, sagt West. „Natürlich sind wir eine Rockband“, so Ibold, „aber wir sind anders als andere Bands.“ Nur: Man muß das der Welt nicht mehr ausdrücklich beweisen.

Diese neue Entspanntheit äußert sich darin, daß die Songs sich wie Songs anhören und nicht mittenmang abbrechen und sich was anderes überlegen, wie sie es lange getrieben haben bei Pavement. „Jeder Song ist konsequent zu Ende gedacht und gut ausgeführt“, sagt West. Das ist so geschäftsmäßig gemeint, wie es klingt. Diese Band ist stolz auf ihr Handwerk, endlich. Ein halbes Jahrzehnt nach „Crooked Rain“ ist man bereit, die Ernte einzufahren.

Das glücklich akzeptierte Mukkertum äußert sich in lustvollen Gesprächen über Blumfeld, die Berliner Electronic-Szene und CD-Werkausgaben alter Meister wie der Kinks. „All diese Extra-Songs“, schwärmt Ibold. Da wacht sogar der ebenfalls anwesende Gitarrist Scott Kannberg auf: „Großartiges Zeug.“ Dann erzählt Ibold von irgendeiner obskuren amerikanische Glamour-Rockband, deren Mitglieder auf der Bühne alle einen Handschuh trugen. Vor und während der Aufnahmen zu „Terror Twilight“ habe man allerdings Folk- und alte Rockplatten gehört, vor allem natürlich die fast ausschließlich in Musikerkreisen hochgeschätzten Fairport Convention. Der Song „Folk Jam“, ursprünglich nur ein Arbeitstitel, soll daran angelehnt sein. Aber Pavement wären nicht Pavement, wenn man das noch hören würde. Auch wenn sie glauben, Rockgeschichte zu adaptieren, sind sie doch eine der wenigen Bands, die tatsächlich einen eigenen Sound erfunden hat.

Weil Pavement nun also eingetreten sind in den Zustand des Rockbandseins, wird es Zeit, noch dies festzustellen: Pavement sind eine Band. Das mag trivial erscheinen. Aber man vergißt es allzugern. Schien es doch so in den letzten Jahren, als sei Pavement, die Band, bestenfalls gut flutschendes Gleitmittel für Stephen Malkmus, den Dichter. Die Rezeption beschäftigte sich nun bald ein Jahrzehnt lang lieber mit Textexegese als Sounddiskussion. Die Ironie daran: Der Wortschmied selbst ist berüchtigt dafür, die Auseinandersetzung mit seinen Zeilen zu verweigern, und redete schon immer lieber mit der Musikfachhandelpresse über Gitarrensaiten und Verstärker.

Fröhlich erzählt die Restband nun, daß Malkmus seine hochgelobten, selbstreferentiellen Texte meist in der letzten Minute während der Plattenaufnahmen hinschludert. „Er bedauert vieles, was er geschrieben hat“, erzählt Ibold, „weil es besser sein könnte, wenn er mehr Mühe darauf verwendet hätte.“ Und Malkmus selbst gesteht, daß er allzuoft inspiriert wird von „Deadlines und Verzweiflung“. Wenigstens, so die Restband, hat ihn Produzent Nigel Godrich dazu gebracht, sich etwas mehr Mühe als sonst beim Singen zu geben.

So scheint also dem Verlassen der Wohngemeinschaft nichts mehr entgegenzustehen. Oder doch? „Ich glaube nicht“, sagt West, der Mann aus der kleinen Universitätsstadt, „daß irgendein Song auf ,Terror Twilight' heutzutage eine große Hitsingle werden könnte.“ Heutzutage vielleicht nicht. Vielleicht morgen. Diesmal auf jeden Fall nicht erst in drei Jahren. Die Zukunft ist nähergerückt. Thomas Winkler

Pavement: „Terror Twilight“ (Domino/Virgin)