Kleinigkeiten von kleinen Parteien: FDP am Heiratsmarkt
■ Liberale stellen im Bundestag das Schröder/Blair-Papier zur Abstimmung
Bonn (taz) – Man liest Blatt für Blatt und glaubt es kaum. Über 15 Seiten erstreckt sich der Antrag der FDP-Fraktion im Bundestag, und Satz für Satz, Absatz für Absatz haben die Liberalen darin das sogenannte Schröder/Blair-Papier abgeschrieben. Nur aus Formulierungen wie „die Linke muß“ wurde kurzerhand „die Politik muß“. In einer zweizeiligen Schlußempfehlung wird die Bundesregierung aufgefordert, Deutschland anhand des Schröder/Blair-Konzepts zu reformieren. Heute will die Fraktion ihren Antrag im Bundestag zur Abstimmung stellen.
Es ist ein Plan mit Hintergedanken.
Natürlich ist der FDP nicht verborgen geblieben, wie heftig die SPD derzeit um das Papier zur Reform der Sozialdemokratie streitet (siehe Text und Interview auf dieser Seite). „Wir wollen die SPD stellen“, begründet der Geschäftsführer der FDP-Fraktion, Jörg van Essen, den Antrag. Liebend gerne würde die FDP die Abstimmung nutzen, um einen Zählappell zu veranstalten: Wie groß ist unter den Genossen die Schar der Gegner von Schröders Modernisierungskurs? „Wir haben den Eindruck, daß Kanzleramtsminister Bodo Hombach dahinter steht, aber weite Teile der SPD nicht“, sagt van Essen. Sollte sich Hombach durchsetzen, bedeute das eine völlige Neuorientierung der Sozialdemokraten.
Diese haben bereits per Geschäftsordnung die eilige Überweisung des Antrags in die nichtöffentlichen Ausschüsse arrangiert, um ihre innere Zerrissenheit nicht im Rampenlicht einer Bundestagsdebatte ausgeleuchtet zu sehen. „Die SPD hat die Notbremse gezogen“, spottet van Essen.
Bleibt die Frage, woher die Anteilnahme der Allwetterkoalitionäre von der FDP am Reformgerangel in der SPD rührt. „Wir sind nicht besorgt um die Reform der SPD, sondern um die Reform der Bundesrepublik“, sagt der Fraktionsgeschäftsführer. Ein anderer Freidemokrat erklärt, das Schröder/Blair-Papier enthalte doch lauter Positionen, wie die Liberalen sie schon immer vertreten habe. Heftig dementiert wird, daß es sich bei dem Parlamentsantrag in Wahrheit um einen Heiratsantrag handele.
Gewisse Differenzen bleiben ohnehin bestehen. Auf ein paar Stellen haben die Liberalen bei ihrer Abschrift des Sozi-Papiers verzichtet. So fehlen alle Hinweise auf eine wichtige Rolle der Gewerkschaften. Auch einen anderen Satz strichen die FDPler: „Moderne Sozialdemokraten sind keine Laisser-faire-Neoliberalen.“ Patrik Schwarz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen