Aufgebockte Altäre

Frech, indiskret, bizarr: Alexander Posch porträtiert in „Schlucker 2000“ 33 Köpfe aus Hamburgs literarischer Clubkultur  ■ Von Ulrike Bals

Gleich welchen Standpunkt man einnimmt, ob Straße, Strand oder Slam: Nadine Barth erscheint immer nur als rotes Vorüberwischen, schreibt Appoche alias Alexander Posch. Auch den kleinen Benjamin Burat bekomme man selten zu Gesicht. „Von Zeit zu Zeit taucht er auf, streckt den Kopf aus dem Dunkel seines Jacketts und rollt mit den blauen Augen.“ Dagegen erscheint Cenk Bekdimir, der Herzen sammelnde Elvis-Verschnitt mit Paillettenanzug und Klunkerfingern, höchst präsent. Morgens allerdings, wenn ein Lichtstreif am Ende der Reeperbahn aufgeht und der Glamour verblaßt, sitzen seine Fäuste locker.

Doch was heißt das schon, verglichen mit Mariola Brillowskas abgründigem Inneren? Eine „bösartige Wucherung“, ein „Hieronymus-Bosch-Kosmos“, den sie mit irisierenden Comics auf Celluloid bannt. Grellbunt wie die kleinen Celluphanpapierchen, die sie am Fließband der Süßwarenfabrik ihres polnischen Heimatstädtchens Sopot um Bonbons wickelte – bis sie ihren Baba-Jaga-Hexenbesen bestieg und nach Deutschland ritt.

Frech, indiskret, und zuweilen bizarr lesen sich die 33 Porträts Hamburger Literaten, die Alexander Posch in Schlucker 2000 eingefangen und die Dierk Hagedorn mit schnellen Strichen skizziert hat – zum Teil bis ins Comicartige verfremdet. Der 31jährige Hamburger Slam-Poet weiß, wovon er schreibt. Wie kaum ein zweiter kennt er die einschlägige Szene der literarischen Sub- und Clubkultur. Als ehemaliger Betreiber des LAOLA-Clubs ist er mit vielen der Schriftsteller persönlich bekannt. Mit liebenswerter Distanz und verschmitztem Lächeln schält er die trinkenden, philosophierenden und äußerst menschlichen Wesen aus dem Schatten der Nacht und zeichnet sie mit scharfem Profil – holzschnittartig oder fein ziseliert. Eingebettet in obskure Geschichten verschmelzen seine Beobachtungen und Imaginationen zu verblüffenden Short-storys. In blitzartigen Momentaufnahmen erwachen Dinge zu skurrilem Eigenleben, etwa Christian Buhls rote Gitarre. Ganz wie ihr Besitzer selbst steht sie still und starr im Raum. Ein „Fetisch seiner Vergangenheit, zum Altar aufgebockt, dem Leben enthoben.“

Poschs eigenwillige Begegnungen mit Hamburgs untergründigen Poeten ist gleichzeitig auch eine abenteuerliche Reise quer durch die Viertel der Stadt. Wenn er in Barmbek nicht ohne Angst den Türgriff des anthrazitfarbenen Kombis umklammert, mit dem Gunter Gerlach durch die verlassenen Straßen heizt. Oder ihm Alexej N. Tschareuy in einer Harburger Sozialwohnung gegenüber sitzt „mit nur einer Gehirnhälfte. Ich sehe es genau, eine Hälfte fehlt, die linke. Seine Gefühle sind verschwunden.“ Er nimmt auf der dämmrigen Rückbank eines Taxis Platz. Regen prasselt an die Scheiben. Der Beifahrersitz ist mit Büchern überfrachtet. Am Steuer, blaß und schweigsam: Mirko Bonné.

In der öffentlichen Schwimmhalle ist es Hartmut Finkeldey mit Tochter Charlotte, dem das Wasser auf Kopf und Nacken klatscht. „Etwas klamm bewegt er sich im gekachelten Viereck. Über der Badehose wölbt sich ein Weißweinbauch.“ Seine Augen sind feucht, denn er „ist nah am Wasser gebaut.“ Und Slam-Diva Tina Uebel thront auf dem Bett eines Stundenhotels an der Reeperbahn. Lärm quillt durchs geöffnete Fenster, während sie mit blonder Löwenmähne und glitzerndem Fummel aus ihren Erzählungen rezitiert.

Alexander Posch, „Schlucker 2000“, Schwamm-Verlag Hamburg, 15 Mark. Lesung: 22. Juni, 20 Uhr, nurfürgäste, Von-Melle-Parkk 8