Schweden darf abschalten

■  Oberstes Verwaltungsgericht bestätigt: Regierung kann mit dem Atomausstieg Ernst machen. AKW Barsebäck 1 soll vom Netz

Stockholm (taz) – Der schwedische Einstieg in den Ausstieg aus der Atomkraft kann endlich beginnen. Gestern bestätigte das „Regeringsrätten“, das Oberste Verwaltungsgericht des Landes, den Beschluß der Regierung Göran Persson, den ersten von zwei Reaktoren des südschwedischen AKWs Barsebäck stillzulegen. Damit wurden Einwände der AKW-Betreibergesellschaft, die höher entschädigt werden wollten, zurückgewiesen. Der Reaktor Barsebäck 1 ist nach dem Gerichtsbeschluß nun spätestens bis Ende November stillzulegen.

Eigentlich sollte der erste Barsebäck-Reaktor bereits seit einem Jahr vom Netz sein. Nachdem sich die SchwedInnen schon 1980 in einer Volksabstimmung mehrheitlich für den Atomausstieg bis spätestens 2010 entschieden hatten, verabschiedete der Reichstag nach langjährigem parteipolitischem Hickhack im Dezember 1997 endlich ein „Gesetz über die Abwicklung der Atomkraft“. Unter Bezug auf dieses Gesetz hatte die Regierung am 5. Februar 1998 den Beschluß gefaßt, den Reaktor Barsebäck 1 zum 1. Juli 1998 abzuschalten – Barsebäck 2 im Jahre 2001. Der Kraftwerksbetreiber Sydkraft, bei dem zwischenzeitlich die deutsche PreussenElektra größter Aktionär geworden ist und damit das eigentliche Sagen hat, rief daraufhin am 26. Februar das Regeringsrätten an: Eine erzwungene Stillegung des AKWs aus energiepolitischen Gründen – nicht etwa wegen Sicherheitsbedenken, was aufgrund des Atomgesetzes möglich wäre – verletze Sydkraft in ihrem Eigentumsrecht. Bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache setzte das Regeringsrätten in einem Eilverfahren den Stillegungsbeschluß am 14. Mai 1998 außer Kraft. Zum Entsetzen der Ausstiegsbefürworter auch in Deutschland. Barsebäck 1 produzierte daher weiter wie gehabt seinen Atomstrom.

Ob es damit nun tatsächlich knapp 18 Monate verspätet tatsächlich sein Ende haben wird, ist allerdings nicht endgültig sicher. Sydkraft hat den Stillegungsbeschluß der Regierung auch gegenüber der EU-Kommision beklagt: Er stehe im Widerspruch zur EU-Konkurrenzgesetzgebung und beschränke für Sydkraft unzulässig die freie Konkurrenz in der Union. Eine Reaktion aus Brüssel hierzu war bislang unter Hinweis auf das laufende Verfahren vor dem Regeringsrätten nicht gekommen. Sollte die Kommission sich nunmehr den Sydkraft-Argumenten anschließen, könnte der Fall beim EU-Gerichtshof landen. Sydkraft hat allerdings auch die Möglichkeit, wegen möglicherweise unzulässiger Enteignung den Europäischen Gerichtshof anzurufen, falls sich Regierung und Betreiber nicht erneut an den Tisch setzen sollten, um auf dem Verhandlungswege zu einer Entschädigungsregelung zu kommen.

Solche Gespräche hatte man bereits im letzten Jahr erfolglos geführt, obwohl dem Vernehmen nach eine Einigung nahe war: Sydkraft sollte in erster Linie nicht in Kronen und Öre, sondern durch Ersatzatomkraft aus dem – von der staatlichen „Vattenfall“ betriebenen – AKW Ringhals ersetzt werden. Sydkraft war diese Entschädigungsregelung angeblich nicht weitgehend genug. Doch aus Regierungskreisen war zu hören, daß die Verhandlungen letztendlich am Sydkraft-Großaktionär PreussenElektra gescheitert seien. Der deutsche Stromkonzern ist offenbar an einem Musterverfahren vor dem EU-Gerichtshof interessiert, um zumindest den Entschädigungspreis so hoch wie möglich zu treiben – auch im Hinblick auf ein mögliches deutsches Atomausstiegsgesetz. Reinhard Wolff