■  Schon wenige Tage nach Beginn des Kosovo-Krieges berichteten Flüchtlinge über Massaker in der Provinz. In Flüchtlingslagern aufgenommene Augenzeugenberichte häuften sich über die gesamte Kriegsdauer. Doch die Aussagen waren nicht zu überprüfen. Das ist jetzt anders. KFOR-Soldaten und Journalisten entdeckten Massengräber und Spuren von Übergriffen, die teilweise exakt den Schilderungen entsprachen. Ermittler des Haager Militärtribunals werden in den nächsten Tagen im Kosovo erwartet. Eine Übersicht über:
: Eine Topographie des Schreckens

Bislang entdeckte Gräber:

1. Kacanik: Britische Soldaten fanden am Montag in der Stadt Kacanik, rund 50 Kilometer südlich von Pritina, 81 Gräber, in denen Opfer eines Massakers vermutet wurden. Die Gräber seien erst kürzlich ausgehoben und nur mit Nummern versehen worden. Die Leichen seien ursprünglich in einem Massengrab beigesetzt gewesen.

2. Hallac i Vogel: Dort wurden am 18. und 19. April 20 Menschen von serbischen Soldaten erschossen. Jetzt fanden britische Soldaten die Gräber. Überlebende bestätigten, daß serbische Soldaten die Dorfbewohner erschossen hätten.

3. Ribar: Dort wurden am 25. April fünf Frauen von serbischen Paramilitärs vergewaltigt und ermordet, außerdem erschossen die Milizionäre 15 Männer aus dem Ort.

4. Prizren: Deutsche Soldaten fanden am Montag in der Umgebung der Stadt zwei Gräber mit insgesamt 70 Leichen.

5. Koronica: In dem Dorf zehn Kilometer westlich von Djakovica wurden am Dienstag drei weitere Massengräber entdeckt, die die Leichen von 150 Menschen enthalten sollen. In einem nahegelegenen ausgebrannten Haus fanden sich zudem fünf verkohlte Leichen.

6. Velika Krusa: Soldaten der deutsch-niederländischen KFOR-Einheit haben auf einem Bauernhof in Velika Krusa etwa 20 stark verkohlte und zum Teil verweste Leichen entdeckt.

Weitere Orte, aus denen von Massenerschießungen berichtet wurde:

7. Bela Cerkva: Hier wurden bis Ende März bis zu 500 kosovarische Zivilisten von serbischen Streitkräften ermordet. Flüchtlinge berichteten, daß 35 Leichen an der Eisenbahn zwischen Rogova und Bela Cervka am Ufer des Bellaja-Flusses von serbischen Soldaten abgeladen wurden.

8. Bruznic: Das Dorf wurde Anfang April von serbischer Armee niedergebrannt, ein Flüchtling berichtete, jugoslawische Soldaten hätten nach der Rambouillet-Konferenz 100 albanische Dorfbewohner ermordet.

9. Djakovica: Aus Djakovica gab es schon frühzeitig sehr detaillierte Berichte über massenhafte Erschießungen albanischer Zivilisten. Am Abend des 1. April drangen serbische Polizisten und Paramilitärs, die schwarze Mützen übergezogen hatten, in den Stadtteil Qerim ein. Sie zogen von Haus zu Haus und erschossen mindestens 54 Zivilisten. Insgesamt seien dort bis Ende April mindestens 300 Menschen ermordet worden, 200 davon offenbar Flüchtlinge, die am 27. April von serbischen Streitkräften exekutiert wurden – drei Wochen nach der Flucht der 14.000 Bewohner der Stadt

10. Izbica: 270 Menschen wurden hier seit Mitte März ermordet. Frühzeitig gab die Nato Satellitenaufnahmen von etwa siebzig kurz zuvor aufgeworfenen Gräbern frei, später sendete CNN ein Video, das ein Flüchtling heimlich von 129 Leichen auf einem Feld aufgenommen und aus der Provinz geschmuggelt hatte.

11. Kralan: Albanische Flüchtlinge gaben in Interviews an, daß am 4. April dort 100 Zivilisten getötet worden seien.

12. Ljubenica: Flüchtlinge berichten, in diesem Ort im westlichen Kosovo seien am 8. April 100 Zivilisten getötet worden.

13. Mala Krusa: 112 Männer wurden dort erschossen, ihre Leichen anschließend verbrannt, um Hinweise auf das Verbrechen zu vernichten, gab ein Überlebender zu Protokoll.

14. Malisevo: Die Stadt und die umliegenden Dörfer wurden am 30. März von serbischen Soldaten zum größten Teil niedergebrannt. Flüchtlinge berichteten, daß am 27. März 50 Männer exekutiert worden seien, außerdem seien Kosovaren bei lebendigem Leib verbrannt worden. Zwischen 50.000 und 140.000 Binnenflüchtlinge in der Gegend seien danach von serbischen Flugzeugen und Hubschraubern bombardiert worden.

15. Nakarad: Ende April wurden mindestens 160 Kosovaren in der Nähe des Friedhofes von serbischen Streitkräften ermordet.

16. Orlate: Der Ort an der Kreuzung der Straßen zwischen Pritina, Pec und Malisevo wurde am 30. März von der serbischen Armee in Brand gesetzt, zuvor waren dort 200 Männer erschossen worden.

17. Pec: Aus der Stadt wurden im Verlauf mehrerer Wochen bis zu 50.000 Menschen vertrieben, serbisches Militär griff einen Flüchtlingstreck an, der am 6. April den Ort verließ. Einige Tage zuvor, am 27. März, waren 50 Zivilisten getötet und in den Gärten ihrer Häuser verbrannt worden. Das Brandschatzen wurde fortgesetzt, um die Vertreibung der Bewohner zu forcieren. Anfang Mai wurden in der Nähe von Pec 26 Menschen von Serben erschossen.

18. Podujevo: 90 Prozent der Stadt seien von serbischen Soldaten niedergebrannt worden, 200 Männer im wehrfähigen Alter wurden im April ermordet.

19. Rogova: Dort sollen 50 albanische Zivilisten von serbischen Polizei- und Militärkräften erschossen worden sein.

20. Srbica: Alle Bewohner der Stadt wurden vertrieben, zum Teil mit Zügen zur Grenze transportiert, Ende März und Anfang April wurden 114 Männer über 18 Jahren ermordet, weitere 24 Albaner wurden am 26. April in der Umgebung der Stadt erschossen. Ende März wurden Hunderte Flüchtlinge für einige Zeit in einer Munitionsfabrik festgehalten.

21. Suva Reka: Bis zu 350 albanische Bewohner der Stadt wurden von serbischen Militärs ermordet. Etwa 30 von ihnen verbrannten in ihren Häusern. Schon am 26. März, zwei Tage nach Beginn der Luftangriffe, waren 60 Prozent der Häuser in Suva Reka in Brand gesteckt worden.

22. Meja: Dies war einer der ersten Orte, aus dem Flüchtlinge über Massenerschießungen berichteten. Schon Ende April hieß es, in Gräben und auf Feldern in der Nähe des Ortes seien bis zu 300 Leichen zu sehen gewesen. Dies berichteten mehrere Flüchtlingsgruppen unabhängig voneinander. Sie berichteten, zehn bis 15 Minuten lang Schüsse gehört zu haben, nachdem sie größeren Gruppen von Flüchtlingen begegnet seien, die von serbischem Militär bewacht worden seien.

23. Pusto Selo: Am 1. April entdeckten kosovarische Flüchtlinge die Leichen von 70 Kosovaren im Alter von 14 bis 50 Jahren. Ein Überlebender suchte nach medizinischer Hilfe, als serbische Soldaten ihn entdeckten und erschossen. Pusto Selo wurde schon am 11. April als Ort eines mutmaßlichen Massenmordes bekannt, weil US-Satellitenfotos dort frisch ausgehobene Gräber zeigten. Später seien die Grabstätten von serbischen Soldaten geöffnet und die Leichen per Lastwagen nach Orahovac gebracht worden.

Quelle: „The Ethnic Cleansing of Kosovo“, US-State-Department vom 4. Juni 1999

Zusammenstellung und Übersetzung: Stefan Schaaf