Minister Riester: Keine Sorge – Zwangsvorsorge

■  Streit um Rentenpläne der Bundesregierung: Anstieg gekappt, private Vorsorge wird Pflicht. Für die Mindestrente wird Sozialhilfeniveau angepeilt

Berlin (taz) – Die Pläne von Arbeitsminister Walter Riester zur Rentenreform haben einen heftigen Streit in der Koalition ausgelöst. Die Rentenexpertin der Grünen im Bundestag, Thea Dückert, lehnt eine zwangsweise Privatvorsorge ab. Zur taz sagte sie: „Wir wollen ein Angebot für die jüngere Generation, aber keine Zwangsbeglückung.“ Auch mit Riesters Plan, die Rentensteigerung vorübergehend auf das Niveau der Inflationsrate abzusenken, ist sie nicht einverstanden: „Die Renten müssen langfristig nach der gleichen Formel berechnet werden.“

Die Eckpunkte der geplanten Rentenreform sehen vor, daß die Ruhegelder in den kommenden zwei Jahren nur noch in dem Maße steigen wie die Inflationsrate (knapp ein Prozent). So spart der Arbeitsminister im kommenden Jahr vier bis fünf Milliarden Mark, im darauffolgenden Jahr sogar bis zu zehn Milliarden.

Offizielle Begründung für die Idee, die Renten vorübergehend von den Nettolöhnen abzukoppeln: Die steuerliche Entlastung der Familien, die zu höheren Nettolöhnen führt, soll nicht automatisch den Rentnern zugute kommen. Dadurch, daß die Renten in den kommenden zwei Jahren nur minimal steigen, kann er den Sparauftrag des Finanzministers mit Leichtigkeit erfüllen. Vom Jahr 2003 an müssen alle Beschäftigten zudem ein halbes Prozent ihres Bruttoeinkommens auf die hohe Kante legen. Dies soll bis zur Beitragsbemessungsgrenze (8.500 Mark Monatseinkommen im Westen und 7.200 Mark im Osten) gelten. Der Beitragssatz erhöht sich jährlich, bis nach fünf Jahren 2,5 Prozent des Bruttolohns erreicht sind. Diese obligatorische Eigenvorsorge soll steuerlich unterstützt werden und eine Laufzeit von fünf Jahren haben. Die Beschäftigten können wählen, ob sie ihr Geld in Aktienfonds, Anleihen, Lebensversicherungen oder anderen Sparformen anlegen wollen. Wer selbst schon anspart, muß sich nicht an der obligatorischen Eigenvorsorge beteiligen.

Vertreter der Gewerkschaften empörten sich: „Weiße, aber schmerzerregende Salbe“, kommentierte der Sozialexperte der Deutschen Angestellten-Gewerkschaft, Lutz Freitag. Die Beschäftigten müßten höhere Beiträge zahlen, aber das Rentensystem werde langfristig nicht stabilisiert. Eine zwangsweise Privatvorsorge bedeute, daß die Arbeitnehmer finanziell mehr belastet würden, ohne daß sich die Arbeitgeber an dieser Alterssicherung beteiligen müßten.

Die Einnahmen aus den nächsten Stufen der Ökosteuerreform sollen ganz der Rentenversicherung zugute kommen. Dadurch können die Beiträge auf knapp unter 19 Prozent gesenkt und dauerhaft stabil gehalten werden. Weiterer Baustein von Riesters Konzept ist die bedarfsorientierte Mindestrente. Sie soll auf dem Niveau der Sozialhilfe liegen. Kleinrentner, die bislang zusätzlich Sozialhilfe bekamen, werden keinen Pfennig mehr in der Tasche haben. Aber – der demütigende Gang zum Sozialamt entfällt. Weiterer Unterschied zur Sozialhilfe: Zusätzliches Einkommen wird zwar angerechnet, aber das Einkommen unterhaltspflichtiger Kinder wird nicht miteinbezogen. Darüber hinaus will Riester ein Splitting-Modell einführen: Die Rentenansprüche sollen zu gleichen Teilen zwischen den Ehepartnern aufgeteilt werden.

Über die Pläne des Arbeitsministers ist bereits heftiger Streit ausgebrochen. „Ein Wahlbetrug, wie ihn Deutschland noch nicht erlebt hatte“, erregte sich CDU-Vizefraktionschef Friedrich Merz. Der Präsident des Sozialverbandes VdK, Walter Hirrlinger, lehnte die Pläne als „indiskutabel“ ab.

Finanzexperte Bert Rürup, der Mitglied im Beraterteam von Riester ist, machte dem Minister Mut: „Die Regierung muß den offenen Konflikt wagen.“ Änderungen im System zugunsten der jüngeren Generation seien überfällig: „Wenn die Regierung jetzt kneift, hat sie ihre sozialpolitische Kompetenz vollends verspielt.“ Tina Stadlmayer