Hamburgs schönste Fußwaschanlage

Zwischen Naturschutz, Tourismus und Landwirtschaft: Hamburgs Insel Neuwerk in der Elbmündung  ■ Von Gernot Knödler

In der Gaststube hinterm Deich hängt ein vergilbter Sinnspruch an der Wand: „Kuchen von Fock macht nicht dick ... er macht glücklich!“ Ein Foto ein paar Meter weiter zeigt Claus Fock zusammen mit dem wandernden Bundespräsidenten Carl Carstens, und davor tagt die Bezirksversammlung Mitte. Die PolitikerInnen und Verwaltungsleute sind gekommen, Hamburgs Insel Neuwerk an der Elbmündung den einmal pro Legislaturperiode fälligen Besuch abzustatten.

Im Jahre 1299 hatten die Herzöge von Sachsen-Lauenburg den Hamburgern erlaubt, auf der Insel im Wattenmeer vor Cuxhaven ein „Werk“ zu errichten, um den Kauffahrteischiffen den Weg in die Elbmündung zu erleichtern. Der 45 Meter hohe Wehrturm steht heute noch und erlaubt eine Gesamtsicht des Inselchens, das im Laufe der Jahre unter Hamburger Hoheit geriet: Von den drei Quadratkilometern Fläche ist einer seit dem 16. Jahrhundert eingedeicht. In einer Stunde ist man rum.

Es gibt zwei Dutzend durchnumerierte Häuser, knapp 40 BewohnerInnen und ein halbes Dutzend Sehenswürdigkeiten. Wer als Tourist nach Neuwerk kommt, hat schnell seine Ruhe – es sei denn, er hat Spaß an der Biologie und weiß die subtilen Freuden zu würdigen, die das Watt bieten kann, eine Salzwiese etwa oder einfach ein extensiv bewirtschaftetes Stück Land.

Denn Neuwerk ist der bewohnbare Kern des 1990 eingerichteten Nationalparks Hamburgisches Wattenmeer: 170 Quadratkilometer auf der südlichen Seite der Elbmündung, aus denen bei Flut neben Neuwerk nur die Vogelinseln Scharhörn und Nigehörn ragen.

Peter Körber vom Naturschutzamt der Umweltbehörde ist stolz darauf, was er zusammen mit seinem Chef Klaus Janke in den vergangenen Jahren auf der Insel erreicht hat. Denn die Nationalparkverwalter müssen einen Spagat vollführen: Einerseits die Natur schützen, andererseits „das Naturerleben ermöglichen“, wie Körber sich ausdrückt. Und das geht beider Ansicht nach nur zusammen mit den Inselbewohnern, die auf intensive Landwirtschaft verzichten müssen und nach jahrelanger Überzeugungsarbeit eingesehen haben, daß eine intakte Natur für sie Vorteile bringt.

In den Wiesen brüten zwischen grasenden Kühen Rotschenkel, Kiebitze, Feldlerchen und Austernfischer – das Wappentier des Nationalparks. Die Salzwiesen des Deichvorlandes im Osten bieten zusätzlich Möwen und Seeschwalben ein attraktives Brutgebiet. Büschel saftigen grünen Grases stehen vereinzelt in einem Patchwork unterschiedlicher Pflanzengesellschaften. Dort wachsen die Strandaster, die Portulak-Keilmelde und der Strandwermut. Dahinter beginnt das Watt.

Die ParlamentarierInnen lassen sich das erklären, indem sie hinter Nationalparkchef Janke auf dem Deich entlang spazieren. Ab und zu will einer mal was zu umstrittenen Anbauten wissen und einmal schwenkt eine ganze Gruppe ab, sich einen ominösen Schuppen zu besehen, der schon einmal die Bezirksversammlung beschäftigte. Der größte Anbau überragt sein Mutterhaus ums Doppelte. Trotzdem hat Peter Körber kein Problem damit, denn das Gästehaus habe ein spitzes Dach und passe sich somit prima in das Ensemble der Insel ein. Außerdem kleben Sonnenkollektoren am Dach.

„Naturparks sind ein Wirtschaftsfaktor“, sagt Körber. Folglich müssen die Gäste irgendwo unterkommen. 140 Betten gibt es auf der Insel, zwei Schullandheime, dazu Strohlager und Camping auf dem Bauernhof. 1800 Tagesgäste besuchen Neuwerk zu Spitzenzeiten. Helgoland, das um ein Zehntel kleiner ist als die eingedeichte Fläche Neuwerks, muß 6500 verkraften.

Die BesucherInnenzahl auf Neuwerk geht zurück, weswegen die Nationalparkverwaltung jetzt auch ins Marketing für die Insel einsteigen will. Körber zieht ein Faltblatt „Nationalpark mit Herz ...“ aus der Tasche, mit Inselplan, Führungsprogramm und Zimmerverzeichnis. „Wir bieten das, was sonst Kurverwaltungen anbieten“, sagt der Sachbearbeiter in Rangeruniform.

Bei der Bürgerfragestunde der Bezirksversammlung in Focks Gasthof wird denn auch das Thema Kureinrichtungen verhandelt: Der vom Bezirksamt eingesetzte Ortswart Claus Fock beklagt, daß das Amt für Strom- und Hafenbau fünf von 16 Stellen auf der Insel streichen will. Der Sport- und der Hubschrauberlandeplatz würden nicht mehr gemäht und die Fußwaschanlage nicht gepflegt. „Wir betreuen hier im Laufe des Sommers etwa 100.000 Leute“, sagt der Ortswart, „wir haben keine Zeit, noch zusätzliche Aufgaben zu übernehmen“.

Karl Spring vom Amt für Strom- und Hafenbau führt Sparzwänge und den Küstenschutz an. Bezirksamtsleiter Rolf Miller weist dezent darauf hin, daß die Bezirksversammlung die neue Fußwaschanlage gestiftet habe und nicht automatisch für deren Unterhaltung verantwortlich sei: „Ich habe von einem gehört, der es wissen muß, daß es an der ganzen Nordseeküste keine so schöne Fußwaschanlage gibt wie die auf Neuwerk.“

Zur Freude von Janke und Körber spricht sich der Ortswart dann noch für ein Nationalparkhaus aus; er bemängelt, daß der Insel öffentliche Toiletten fehlen und sagt, daß sich der Schulrat schnellstens überlegen sollte, wo die Handvoll nachwachsender NeuwerkerInnen zur Schule gehen soll. Tja.

Die Sitzung schließt eine Dreiviertelstunde früher als geplant. Die Fraktionen begeben sich auf einen Strammen Max ins Lokal der Familie Griebel, das dritte an diesem Tag. Die Bezirkspolitiker achten darauf, daß möglichst viele Neuwerker von dem Besuch „aus der Stadt“ profitieren.

Dann rollen im intensiven Licht des Abends hochgebockte Pferdewagen vor. Auf einer silberglänzenden Wattfläche bringen sie die Abgeordneten hinüber an die niedersächsische Küste. Wo am Horizont die Elbfahrrinne ist, scheinen riesige Pötte von Hamburg her durchs trockene Watt zu pflügen. Wie hatte Körber gesagt: „In Mallorca ist man von Hamburg aus schneller als auf Neuwerk.“