Gestern noch links –heute schon grau

■ Ein bitterlicher Abgesang auf die Grünen im Anschluß an zwei deutlich verlorene Wahlen. Oder: Eine Einladung zur Debatte

Wer zum Witz greift, sollte sicher sein, von der eigenen Pointe nicht erschlagen zu werden. Wer weiß, ob der grüne Bürgerschaftsabgeordnete Hermann Kuhn sich dessen bewußt war, als er vor zwei Wochen am Wahlabend abrupt ins Scheinwerferlicht der Fernsehkameras geriet. Gefragt, ob das Wahlergebnis von knapp neun Prozent für die Grünen nicht eine Niederlage für seine Partei darstelle, antwortete er: Eine Niederlage könne er da nicht erblicken. Er betrachte dieses Votum vielmehr als „Wachstumskrise“.

Der Verlust von einem Drittel der Stimmen – eine Wachstumskrise also. 8.000 WählerInnen an einen politischen Gegner zu verlieren, der Bremen seit 50 Jahren durch Dauerpräsenz in der Regierung in all die Krisen manövriert hat, die den Stadtstaat heute plagen – bloß eine Wachstumskrise. Unter einer Großen Koalition, die ein quasi bankrottes Gemeinwesen zu einer Boomtown schöngeredet hat, das schlechteste Wahlergebnis seit 1983 einzufahren – tatsächlich nicht mehr als eine Wachstumskrise?

Womöglich war die Rede von der Wachstumskrise nur witzig gemeint. Doch schwer wiegt ein anderer Verdacht: Da redet sich in der Gestalt eines (im Grunde austauschbaren) Vertreters der Ökopartei die Arroganz der Ohnmacht um den Verstand – so als wollten die Grünen in aller Selbstgefälligkeit sagen, die durch Kosovo und Bundesregierungschaos vergrätzte StammwählerInnenschaft werde sich bald schon wieder beruhigen. So als könne man eh sicher sein, daß nach weiteren vier Jahren Großer Bremer Koalition der Überdruß im Lande stark genug sein wird, um die Grünen auch ohne großes Zutun ihrerseits wieder aus der „Wachstumskrise“ zu hieven. Möglich ist das: Sowohl, daß die Grünen bei den nächsten Wahlen zulegen. Als auch, daß sie, wie in der letzten Legislaturperiode, nur wenig tun werden, um dieses Wachstum zu rechtfertigen.

Die Grünen sind erschreckend kopf- und konzeptlos

Man habe „die Rolle der Opposition angenommen“, verkündet da generös Landesvorstandssprecher Hucky Heck. Erst andersherum wird ein Schuh daraus. Obwohl rechnerisch möglich, hat die SPD nicht einen Augenblick auch nur daran gedacht, mit den Grünen über eine Zusammenarbeit zu reden. Und wer verstünde das nicht. Denn kein Mensch, der noch alle politischen Sinne beisammen hat, würde gern und freiwillig eine Koalition mit diesen Bremer Grünen eingehen wollen. Ob Wirtschafts-, Finanz-, Sozial- oder Kulturpolitik: Auf kaum einem relevanten Politikfeld ist es den Grünen gelungen, durchdachte politische Konzepte zu formulieren. Zu selten hatte man in der Vergangenheit den Eindruck, die Partei beherberge Köpfe in ihren Reihen, die profunde politische Alternativen zu den ideenlosen Konzepten der Großen Koalition entwerfen und zudem offentlichkeitswirksam vertreten können. Und ihre Funktion als Sammelbecken für die Ideen jener außerparlamentarischen Personen und Gruppen, die tatsächlich eine andere Politik für die Stadt wollen, haben sie sträflich vernachlässigt. Man kann sich mit Blick auf den Zustand der grünen Partei in Bund und Ländern des Eindrucks nicht erwehren: Da ist eine Generation an die Fleischtöpfe der Macht geraten und nun vollauf damit beschäftigt, Speckröllchen auszubilden.

Am ehrlichsten scheinen noch die Unentschlossenen. Bei der Auswertung des Bielefeld-Sonderparteitages brachte es die Bremer Delegierte Ute Treptow auf den Punkt. Als sie am Betreten der Veranstaltungshalle von DemonstrantInnen gehindert wurde, sah sie sich mit Protestformen konfrontiert, die sie früher bei einem CDU-Parteitag selber angewendet hatte. Ihre Schlußfolgerung: „Vielleicht hat das früher auch nicht immer gestimmt.“ Bei der entscheidenden Abstimmung über den Kosovo-Einsatz hatte sie ihre Stimmkarte an einen Vertreter delegiert.

Die Unentschlossenheit, das Ringen mit sich selbst: In Zeiten einer lebendigen Diskussionskultur war das die Hauptwaffe der Grünen. Das, was die Partei modern und energiegeladen aussehen ließ. Genau davor hatten die anderen Parteien Angst, genau deshalb blieb die Partei trotz langsamer Vergreisung so attraktiv für politisch suchende JungwählerInnen. Politik als Selbstfindungsprozeß. Als Suche nach neuen Demokratieformen. Der Mut zur überzogenen Selbstgewißheit. Vielleicht auch der Mut zur Enthaltung.

Doch in Zeiten der Koalitionsfähigkeit muß alles untergeordnet werden unter den Regierungswillen. Selbst wenn man in der Opposition ist, wie hier in Bremen. „Der Spielraum für Regieren ist in Bremen enger geworden“, sagte Heinrich-Böll-Chef und Grüner Ex-Senator Ralf Füchs nach der Wahl. „Der Spielraum für Opposition auch.“ Die Unterordnung unter die große Linie bis zur Unkenntlichkeit – auch ein Grund, warum die WählerInnen am 6. Juni zu Hause blieben. Die offene Diskussion stirbt in der Realpolitik als erstes.

Oft geschrieben, oft bejammert: Die Grünen sehen sich trotz aller gegenteiligen Bekundungen immer noch als eine jugendliche Partei. Tatsächlich vernachlässigen sie bis heute ihr junges Klientel. Analytisch haben sie das Problem seit Jahren erkannt. Doch mit der anhaltenden akademischen Verbalisierung schützte man sich auch vor dem Zwang, etwas zu tun. Zwar gibt es in Bremen inzwischen eine aktive Grüne Jugendinitiative, und in den letzten Monaten sind verstärkt Menschen um die 30 eingetreten. Aber zu melden haben junge Leute nichts. Die bombensicheren Listenplätze bei der Bürgerschaftswahl gingen an die alte Garde. Das Durchschnittsalter der Abgeordneten ist zum Heulen. Wer nicht mit den Rolling Stones sozialisiert wurde, kann mit den Grünen keine Parties feiern.

Die 68er-Generation in der Partei will alleine alt werden

Man stelle sich einen jugendlichen Abgeordneten der Grünen vor, nasengepierct, mit einem zweihundert Mark T-Shirt, ordentlichem Clubwear und zu Gabba-Musik zuckend, bei beiläufiger Rhetorik. Gäbe es etwas Provozierenderes für die Gründer der Partei? Und, man sollte sich nicht täuschen: ein Zwanzigjähriger in Joschka Fischers Anzug würde bei den Grünen ebenfalls durchfallen. Die Erwartung der älteren an die Grüne Jugend ist, den Weg der Alten zu gehen und nach langer Suche zu den gleichen Schlußfolgerungen zu kommen wie Pappi und Mammi. Ansonsten gilt: Die Grünen wollen alleine alt werden.

Die Sozialisierung, die den Parteiaktiven über die Jahre wiederfuhr, entspricht einer Domestizierung. In Bremen läßt es sich gelassen leben. Daß da dennoch Platz ist für eine politische Linke, beweisen die Sympathiewerte, die die PDS unter jungen Menschen in Bremen einheimsen kann. Statt sich um den langsam verlorengehenden Nachwuchs zu kümmern, wird die PDS marginalisiert – und die Entfremdung zwischen linken Jugendlichen und Grünen wächst.

Der trostlose Anblick verstärkt sich noch angesichts der Stimmungen, die sich nach den verlorenen Wahlen in Bremen und zum Europaparlament in der Partei breit machen. Man müsse, heißt es nun, wie die FDP werden. Nur sozialer. In der politischen Mitte gälte es sich zu positionieren, die Partei für bürgerliche Schichten weiter zu öffnen. Und passend dazu droht die bayerische Grünen-Landeschefin den innerparteilichen KritikerInnen der Kosovopolitik schon mit Parteiausschlußverfahren. Daran, daß heutzutage realpolitische Einfalt allenthalben den Blick einengt und nur noch im Parlamentarismus und in der Glorifizierung „unseres Joschkas“ Parteiprofil herausgebildet wird, ist der deutlichste Verlust an politischer Substanz bei den Grünen festzumachen.

Die Abspaltung der Fundis, die Abwanderung selbst gemäßigter Linker und jüngst der Verlust des pazifistischen Flügels hat die Grünen sicherlich homogener und damit regierungsfähiger gemacht. Man mag das, wie manche Parteivisionäre es tun, als notwendigen und natürlichen „Reinigungsprozeß“ betrachten. Aber unbestreitbar ist, daß die Partei dadurch ihre Funktion als Sammelbecken der Linken und als Brutstätte radikal anderer Politikkonzepte sowohl auf kommunaler als auch auf Bundesebene verloren hat.

Wählen in Deutschland ist ein trauriges Geschäft. Eine Linke, die ihren Namen verdient, hat im Parlamentarismus momentan keinen Ort. Daran, daß diese grüne Partei scheinbar dennoch so alternativlos dasteht, könnte man verzweifeln. Doch das hieße, der großen Selbstlüge der in Amt und Würden ergrauten Partei auf den Leim zu gehen. Denn die Grünen sind in der Tat nicht unverzichtbar. So wie sie sich gebärden, kann man auch den Großen Koalitionen das Feld überlassen. Und statt dessen zurück auf die Straße gehen. Dort ist es bekanntlich nicht schön. Aber zumindest geil und laut.

Christoph Dowe / Franco Zotta