Spektakulär unspektakulär

■ Alles ist Show. Nur Bruce Springsteen und seine doppelkinnige E-Street-Band nicht

Es ist ein Gerücht, daß Journalisten keine Ahnung haben von den Dingen, über die sie schreiben; und zwar ein Gerücht, das voll und ganz der Wahrheit entspricht. (Auch hier und jetzt.) Als um Buchhalter-Punkt acht Uhr Bruce Springsteen losmachte, mochte sich Wippen in den Dutzenden von Zehen auf der Pressetribüne nicht einstellen. „Ist das nun altes oder neues Zeug?“ - „Keine Ahnung.“ – „Keine Ahnung.“ – „Keine Ahnung.“ Ist ja auch egal, denn über stilistische Fortentwicklung kann bei Springsteen allenfalls der Extrem-Fan philosophieren. Wer wie Springsteen seit 25 Jahren zugange ist, dessen Lebenswerk wird von den meisten nur fragmentarisch wahrgenommen – aber immerhin von drei Generationen. Doch die fanden schon eine halbe Stunde vor Konzertbeginn zu harmonischem Seeleneinklang und probten das Reih-um-Handwedeln. So wellte die Welle rund und satt wie bei einem Werder-Sieg, trotz dezenter Lücken im nicht ganz ausverkauften Stadion. Und irgendwann konnte sich auch die versammelte Pressebühne einklinken: „Das kenn ich. Das heißt The River.“ Und das in Weser-Sichtweite. Die Welt ist stimmig, also gut.

Die Bühne sah aus wie ein überdimensionierter Starenkasten, Star wie Vogel, nicht wie Pop. Wände, versifftes Plastikschrägdach, fertig, nur das Nötigste fürs Überwintern. Keine Laufstege ins Publikum, kein Requisitenplunder. Die Videowände quadratisch, praktisch, gut, und auch so klein wie eine Tafel Schokolade; keine Einspielungen von Farborgien, Wasserfällen oder anderen MTV-Fusseln, mit denen sonst oft die Ödnis der Star(diesmal wie Pop)visage aufgelockert wird. Der Zug der Wolkengebirge, knapp überm Stadionrand, ist schließlich der schönste Film. Das Leben kann so einfach sein, sagt uns diese Inszenierung einer Inszenierungsfeindschaft; so einfach wie die Songs von Bruce Springsteen. Kein Journalist würde bei Springsteen auf die Idee kommen, wie beim Rolling-Stones-Event-Konzert die Zahl der Scheinwerfer, Trucks, Phonstärken aufzulisten. Die Zeitgeist-Drogen namens Styling und Gigantomanie sind für wahre Rockbesoffenheit nicht nötig, sagt uns das alles. Und ist ja auch wahr.

Ein guter Sound und ein guter Schlagzeuger ist übrigens auch nicht notwendig. Völlig überflüssig. Letzterer drosch so schwerfällig wie ein sibirischer Wüstenbär aufs Fell ein. Lauter Bestätigungen des Grundschlags, nichts Federndes. Originalität? Esprit? Abwechslung?: Alles eitel Tand. Dafür verschweißen diverse Duette die Menschen zu siamesischen Zwillingen: Mann und Eheweib oder zwei echte knorrige Männerfreunde. Aber Springsteen kann auch ironisch sein. „I'm a sexmachine – in my dream“, und rutscht auf den Knien während er sich von einem Soulklassiker zum nächsten hangelt.

Anhänger der Lehre von der Wiedergeburt sollten vor allem auf eines achten: Nur ja nicht das nächste Mal auf die Welt kommen als Springsteens Hemd. Der bemitleidenswerte weiße Lappen mußte drei Stunden ohne Auswechselspieler durchhalten. Ein Wunder, daß er nicht im Menschenschweiß ertrunken ist. Von Zweithemden, aber auch von Zwischenansagen hält der Meister nicht viel. Ich glaube, Hemingway hat die falsche Geschichte geschrieben. Er hätte schreiben sollen: „Der alte Mann und das Musik“. bk