Fernsehen statt spielerisch Deutsch lernen

 Im nächsten Schuljahr soll die Sprachförderung an den Schulen flächendeckend verstärkt werden. Integrierten Konzepten und Themen-AGs an Schulen mit hohem Ausländeranteil droht dagegen das Aus. Diese Angebote waren aber auch für deutsche Eltern attraktiv  ■   Von Julia Naumann

Einmal in der Woche ist Murat gerne länger in der Schule als gewöhnlich. Dann spielt der Elfjährige mit einigen seiner Klassenkameraden anderthalb Stunden Fußball – in der Arbeitsgemeinschaft der Heinrich-Zille-Grundschule am Lausitzer Platz in Kreuzberg. Manchmal veranstalten sie Turniere mit anderen Schulen, manchmal kicken die Kids allein. Murat liebt die AG, auch wenn, wie er sagt, das Team nur „es geht so“ gut sei. Für den Fünftkläßler ist die Fußball-AG außer dem normalen Sportunterricht die einzige Möglichkeit, Sport zu treiben.

Nach den Plänen von Schulsenatorin Ingrid Stahmer (SPD) kann die Fußball-AG der Zille-Schule künftig nicht mehr stattfinden. Das gilt auch für die Samba-AG, die Zirkus-AG oder die Garten-AG. Im Rahmen der Umverteilung von Mitteln für Sprachförderunterricht ab dem nächsten Schuljahr müssen zahlreiche Grundschulen ihre Förderkonzepte neu gestalten.

Bisher konnten die Schulen weitgehend selbst entscheiden, wie sie zusätzliche Mittel zur Sprachförderung für Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache einsetzen: für Unterricht in kleineren Gruppen oder Klassen mit zwei LehrerInnen, für explizite Sprachkurse oder eben für Arbeitsgemeinschaften, an der auch deutsche Kinder teilnehmen.

Bislang bekamen alle Schulen, die einen Anteil von über 25 Prozent SchülerInnen nichtdeutscher Herkunftssprache hatten, zusätzliche Förderstunden. Nach den Innenstadtkonferenzen, die zur Rettung von „sozialen Brennpunkten“ im vergangenen Jahr initiiert wurden, sollen nach dem Willen von Ingrid Stahmer diese Förderstunden künftig „zweckgebunden“ verteilt werden – also nicht mehr für Kleingruppen oder eine Theater-AG, sondern nur noch für reinen Sprachunterricht. „Der Schlüssel zur Integration ist die deutsche Sprache“, begründet Stahmer die Schwerpunktsetzung. Mit der Zweckbindung solle „Mißbrauch“ von Förderstunden verhindert werden.

Einziges Kriterium für Förderstunden soll jetzt die Sprachfähigkeit der SchülerInnen sein, nicht mehr der Anteil der Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache in einer Schule. Das heißt, jede Schule, egal ob in Kreuzberg oder in Zehlendorf, die mehr als zehn förderungswürdige Schüler hat, kann zukünftig Mittel beantragen. Dafür werden im nächsten Schuljahr berlinweit 50 Lehrer zusätzlich eingestellt. Nur für Sozialarbeit werden 141 Lehrerstellen zur Verfügung gestellt. Auch hier wird der Kreis der Schulen erweitert. Statt 38 „Brennpunkt-Schulen“ vorwiegend in Kreuzberg, Tiergarten, Neukölln und Wedding sind jetzt auch Schulen zum Beispiel in Hellersdorf oder Charlottenburg dazugekommen. Der Stellentopf bleibt jedoch gleich groß.

Unterstützung bekommt Stahmer von der CDU. „Die Lehrer haben nur die Aufgabe zu unterrichten“, sagt die schulpolitische Sprecherin Monika Kittelmann. Die bezirklichen Jugendämter und nicht die Schulen müßten sich um Aktivitäten nach der Schule kümmern, ist ihre Forderung. Die GEW will dagegen, daß die jetzigen Schulkonzepte evaluiert werden. „Es muß geprüft werden, ob die Kinder in Kleingruppen oder Arbeitsgemeinschaften besser Deutsch lernen oder tatsächlich in Sprachkursen“, sagt der GEW-Vorsitzende Ulli Thöne. Der Senat habe sich diese Frage aber gar nicht gestellt, kritisiert er.

Die neue Richtlinie Stahmers stößt an der Zille-Schule jedenfalls auf Unverständnis. In kleineren Gruppen und in Arbeitsgemeinschaften würden die Kinder sehr gut Deutsch lernen. Das soziale Verhalten werde durch Gruppenarbeit ausgeprägter, sagt Lehrerin Ulrike Jung. Gerade Kinder, die als schwierig im Umgang gelten, würden allein durch Sprachkurse nicht genügend Deutsch lernen, hat Schulleiterin Inge Hirschmann erfahren.

Das heißt freilich nicht, daß die Bedeutung gezielter Sprachkurse in Frage gestellt würde. Auf die Heinrich-Zille-Grundschule gehen 350 Kinder, davon sind 200 Kinder türkischer oder kurdischer Herkunft. Rund 100 von ihnen besuchen derzeit einen Sprachkurs, vier bis fünf Stunden wöchentlich, zusätzlich zum normalen Unterricht. „Hier lernen sie ganz präzise kommunzieren“, sagt Lehrerin Angelika Quednau, die seit zwölf Jahren an der Zille-Schule ist. Viele könnten keine vollständigen Sätze sprechen, hätten nur einen minimalen Sprachschatz.

Doch ohne Teilungsstunden und Arbeitsgemeinschaften geht es nicht, sind sich die LehrerInnen der Schule einig. In Sprachkursen fühlten sich Kinder nichtdeutscher Herkunftssprache manchmal „abgestempelt“, fühlten sich „segregiert“, würden dort ihre Sprachdefizite zu sehr problematisieren. In den Arbeitsgemeinschaften sei das Erlernen und der Umgang mit der Sprache sozialer, spielerischer, ja sinnlicher. So gibt es in der Zille-Schule bespielsweise einen eigenen kleinen Garten mit einem Tümpel und zahlreichen Beeten. Die Kinder pflegen auch die öffentlichen Beete rund um die Schule – ehrenamtlich.

Die zahlreichen AGs, das Angebot für ein warmes Mittagessen und die offene Atmosphäre haben in den vergangenen Jahren dazu geführt, daß auch vergleichsweise viele deutsche Eltern ihre Kinder auf die Schule am Lausitzer Platz geschickt haben, sagt die Schulleiterin. Inge Hirschmann befürchtet jetzt, daß durch die Fixierung auf Sprachkurse und den damit verbundenen Wegfall von AGs das Angebot „unattraktiver“ werde. „Einige Eltern haben uns bereits mitgeteilt, daß sie ihre Kinder dann auf andere Schulen schicken werden“, sagt eine Lehrerin.

Tatsächlich wird sich das Angebot der Kreuzberger Schulen also für alle Kinder verschlechtern. Während sämtliche Schulen ihren Bedarf für Sprachförderung gedeckt bekommen haben, werden Sozialarbeit und Teilungsunterricht auf der Strecke bleiben. Ob Murat also noch im nächsten Schuljahr kicken kann, ist fraglich. Was er statt dessen machen wird, werden wohl die meisten Kinder der Zille-Schule mit „Fernsehen gucken“ beantworten.

Die Zille-Schule sammelt heute auf dem Lausitzer-Platz-Straßenfest Unterschriften gegen die Kürzungen an ihrer Schule.