Schwere Liederkost

■ Seniorenbelustigung ist eine ehrenvolle Aufgabe. Aber nicht alles eignet sich dafür

Ob es überhaupt eine so blendende Idee ist, die von international anerkannten Musikwissenschaftlern als „schwierig“ eingeschätzte Kantate für 4 Waschtrommeln und Kreissäge solo von Heiner Friedrich Dannemann vor den ganz unterschiedlich interessierten Ohren eines Konzertpublikums auszubreiten, mag mit Fug und Recht bezweifelt werden. Mit der Darbietung eines so intimen Tagebuches der Seele sich allerdings das Podium eines Altenheimes auszusuchen – noch dazu im Anschluß an ein 5gängiges Diabetikermenü –, zeugt schon von grenzenlosem Gottvertrauen.

Zieht man nämlich in Betracht, daß der Kreis der Zuhörer fast ausnahmslos aus hochbetagten Bewohnern des Eggenfelder Hubertusstifts bestand, denen die Heimleitung in durchaus lobenswerter Absicht zeitgenössisches Musikantentum nahezubringen versuchte, so durfte man auf das Ergebnis dieses risikoreichen Wagnisses gespannt sein. Nach international durchgeführten psycho-physiologischen Untersuchungen ist hinreichend nachgewiesen worden, daß unter dem Einfluß von Musik vegetative Veränderungen von erheblichen Ausmaßen auftreten können, die die Interpreten im Hinblick auf die beklemmende Wirkung der Dannemannschen Waschtrommel-Kantate unbedingt in Betracht hätten ziehen müssen.

Die Annahme, daß Musikinstrumente, die sonst in den Instrumentensammlungen – und in diesem Falle muß man wohl hinzufügen: in den Werksmuseen der Haushaltsgerätehersteller – ein kümmerliches Mauerblümchendasein fristen, weitab vom pulsierenden Geschehen der Konzertsäle, ein eher auf volkstümliche Melodienreigen geeichtes Publikum anzusprechen in der Lage seien, gibt einen weiteren deutlichen Hinweis auf den von der Heimleitung eingeschlagenen Weg, einmal die ausgetretenen Pfade der musikalischen Abendunterhaltung zu verlassen.

Anfangs schien es auch so, als ob der gewagte Versuch, musikalisches Neuland zu betreten, voll und ganz den Geschmack der Heiminsassen treffen könnte. Sicherlich nicht zuletzt ein Verdienst des stilsicher intonierenden Consortium Musikum der Miele-Werke, das in Christof „der Hammer“ Bechstein, dem jüngsten Sproß der weltberühmten Klavierschmiede, einen ausdrucksstarken Kreissägisten fand, der auch die schwierigsten Passagen dieser nicht selten in den pathologischen Bereich vordringenden Kantate mit delikater Tonkunst bewältigte und der das gelöst aufspielende Miele-Consortium in vollendeter Werktreue begleitete.

Doch was dem gesunden Musikenthusiasten in noch nicht gehobener Altersklasse durchaus einen delikaten Ohrenschmaus zu bereiten vermag, gereichte dem hochbetagten Publikum des Hubertusstiftes, durch den Verzehr des schonköstlichen Schlemmermenüs erheblich vorbelastet, zu womöglich irreparablen Schädigungen: Die Aufnahmeliste des eilig herbeigerufenen Notarztes jedenfalls sollte dem interessierten Beobachter zu denken geben – 3 Fälle von akutem Hörsturz, 5 Fälle von plötzlichen Schwindelanfällen und ein gebrochenes Hüftgelenk sind die traurige Bilanz dieses gutgemeinten konzertanten Frühlingsausklangs.

Mit einem lachenden und einem weinenden Auge bedankten sich die am Schluß des ohne Pause (!) vorgetragenen musikalischen Schleudergangs noch verbliebenen Zuhörer und Zuhörerinnen trotz alledem für diese in ihrem geschmackvoll dekorierten Speisesaal servierte schwere musikalische Kost. Alles in allem war es ein denkwürdiger Abend, der sicherlich seinen Niederschlag in den Annalen des Hubertusstifts finden wird! Rüdiger Kind