Das Rad zum Bauernschrank

■  Unvergängliche Fahrräder, Folge drei: Das Hastings Classic Cycle. Radeln wie Lord und Lady Anfang des 19. Jahrhunderts, als es mehr um Bequemlichkeit als um Tempo ging

Ein Fahrrad wie gemalt. Oder wie auf alten Postkarten. Schwer sieht es aus, und tatsächlich bringt es satte 17 Kilo auf die Waage und nicht etwa zehn wie eine der modernen Rennmaschinen. Natürlich ist es auch nicht mit V-Brakes und 24- oder 27-Gang-Schaltung ausgestattet, sondern mit Rücktritt oder mit Gestängefelgenbremse. Keine Oversized-Rohre, sondern ein seit 1932 in unveränderter Form gebauter Rahmen, der der Bequemlichkeit und nicht der Schnelligkeit dient. Eben ein typisches Hastings Cycle. Das Überraschende: Dieses Velo von Anno dunnemals ist nicht nur was zum Angucken, sondern auch zum Fahren. Man kann es in natura kaufen.

Seit nunmehr zehn Jahren bietet Hastings Classic Cycles in Berlin ausschließlich neue Räder in der alten Form an. War es 1989 noch ein Wagnis, einen derartigen Oldtimer im vom MTB-Fieber infizierten Deutschland zu verkaufen, hat Hastings mit seiner nur drei Modelle umfassenden Palette mittlerweile den Nerv der Retro-Welle getroffen. „Die Leute möbeln Bauernschränke auf und stellen sich alte Betten ins Schlafzimmer. Warum dann nicht auch einen Fahrradklassiker in der Garage oder im Keller?“, versucht Dirk Barzik, der „Kundenkontakter“ der Berliner Nostalgiespezialisten, den Erfolg der Hastings-Modelle wie „Royal Lord“ und „Royal Lady“ zu erklären.

Doch in Wirklichkeit ist der Klassiker nur von der Optik her klassisch. Die Ausstattung entspricht den soliden Standards der Neunziger. So haben alle Hastings keillose Vierkant-Tretlager, und je nach Wunsch oder Geldbeutel werden die Räder entweder ohne Schaltung oder aber wahlweise mit einer Drei-, Fünf- oder Sieben-Gang-Nabenschaltung von Sturmey Archer ausgestattet. Auch hat man die Wahl zwischen Rücktritt, Gestängefelgen- oder Trommelbremse. Wer es ganz edel möchte, stattet sein Rad noch mit Lederhandgriffen und einer Ledersatteltasche aus. Solche Schönheit hat natürlich ihren Preis. „Das Einsteigermodell ohne Schaltung gibt es ab 1.045 Mark. Je nach Austattung geht es dann hoch bis 2.245 Mark. Das klingt zwar sehr teuer für ein Fahrrad ohne das heute als notwendig angesehene High-Tech-Equipment, dafür haben wir aber auch einiges andere zu bieten.“

Womit Barzik zuerst einmal die Rahmengeometrie meint. Auf einem Hastings-Rad hänge man nicht in Büßerhaltung über der Lenkstange, sondern sitze aufrecht in anatomisch korrekter Position. Und dann die Garantie. Nicht die übliche, die sich lediglich auf Rahmen und Gabel erstreckt. Nein, Hastings Classic Cycles bietet mehr: Zweimal jährlich dürfen die Räder zur Inspektion kommen, und das drei Jahre lang. Außerdem Großzügigkeit im Falle des Diebstahls. Wird das Rad gestohlen, wird für Ersatz gesorgt – zu 30 Prozent des Neupreises. „Wir wollen uns einen Namen nicht nur über das Rad allein machen, sondern auch mit einem weiter als normal gehenden Service“, sagt Barzik.

Sowohl über die Räder als auch über die Kulanz sollen sich andere Fahrradhändler anfangs lustig gemacht haben. Doch schon längst ist Schluß mit lustig. Schließlich haben die Berliner zwischen 1995 und 1998 über 4.000 Stück ihrer Hastings abgesetzt. „Jetzt kommen sogar Leute, die ihre wirklich alten Räder restauriert haben möchten“, erzählt der Kundenkontakter. Zum Beispiel ein Brennabor-Rad, hergestellt um die Jahrhundertwende. Da Etiketten und Rahmenverzierung ursprünglich handgemalt gewesen sind, muß dafür extra ein Maler beschäftigt werden. Ein Fachmann, der nicht billig ist. Insgesamt kalkuliert Barzik mit Restaurierungskosten von ungefähr 4.000 Mark.

Der Hang zum Alten und Schönen ist beim Hastings allerdings offensichtlich mit dem Wunsch gepaart, ein bequemes und leicht laufendes Klassikermodell fahren zu wollen und zudem über einen Service verfügen zu können, der auf der Höhe der Zeit ist. Eine Mischung, die sich weit herumgesprochen hat. Obwohl die Werksvertretung in Berlin nur über das Alleinvertriebsrecht für den deutschsprachigen Raum verfügt, hat sie auch schon Fahrräder nach Italien und Finnland geliefert. Die weiteste Anfrage kam aus Brasilien. Doch aus diesem Deal wurde nichts – die Transportkosten wären zu hoch gewesen. Norbert Seeger ‚/B‘Hastings Classic Cycles, Mindener Str. 8, 10589 Berlin, Tel. (0 30) 2 15 87 51 oder (gebührenfrei) 08 00-6 67 82 45