Mein Milder

■ In der Ferne dröhnten die Bongos der Onkos, und Henrik van Fildern war ganz in Melitta Olufsens Bann. Eine Kolonialromanze aus Deutsch-Ostafrika

Deutsch-Ostafrika 1913. Ein gepflegter Herr trat aus dem afrikanischen Busch, das Gewehr lässig geschultert. Mit unbestechlichem Blick kontrollierte er den Abtransport der Bohnen. Was Hunderte „seiner“ Pflückerinnen in ameisenhaftem Bienenfleiß heut' eingesammelt, schon bald würde es in deutschen Tassen dampfen – und er hatte das möglich gemacht! Er, das ist Hendrik van Fildern – Aristokrat, Flieger, Athlet, Großwildjäger, Pflanzer und, last but not least, Gentleman-Röster eines im Hanseatischen ansässigen Kolonialwarenkontors – kurz: ein Lebemann.

Zu zahlreich seine Talente, um sie in diesem knapp bemessenen Rahmen aufzuzählen, zu ausgeprägt sein unstillbarer Freiheitsdrang, als daß Hendrik van Fildern sich ehelich schon hätte zügeln lassen. Ein Mann im stolzen Zenit seiner Möglichkeiten – und doch höhlte ein steter Wermutstropfen sein Herz, wenn er an Juliette Appeldoorn, die Tochter des ehrwürdigen Konsuls Appeldoorn, dachte, die sich jüngst an Roderich von Flak, einen Imponderabilienmakler, verschwendet hatte.

Sei's drum! So blieb Hendrik eben weiterhin der begehrteste Junggeselle in Onko-Onko-Land. Nun also, nach vollbrachtem Tagwerk, an diesem beschaulichen Flecken inmitten jenes unverfälschten Kontinents, den der weiße Mann gerade dabei war, in einen hellerleuchteten Selbstbedienungsladen zu verwandeln, holte Hendrik tief Luft. Das langgezogene Pfeifen des herannahenden Zuges mahnte ihn zur Eile. Jetzt noch rasch das Gnu erlegt, das er Babette, seiner kaffeebraunen Köchin, versprochen hatte, dann konnte der Fahrt in die Provinzhauptstadt nur noch wenig im Wege stehen ...

Friedvoll äsend fand das Gnu seinen Weg aus der Deckung des undurchdringlichen deutsch-ostafrikanischen Buschs. Hendrik van Filderns Sehnen waren aufs äußerste gespannt, als er anlegte. Schon krachte ein Schuß. Und das Gnu ging in die Knie.

Hendrik van Fildern schritt erhobenen Haupts zu dem erlegten Wild. Was Waidmannschaft anging, konnte ihm niemand so schnell das Wasser reichen. Was er aber sehen mußte, als er bei dem dahingerafften Tier angekommen, raubte ihm für einen kurzen Moment fast den Glauben an eine höhere Gerechtigkeit. Da lag kein Gnu im Steppengras, ein Windspiel wars, das röchelnd verendete. Als kurz darauf auch noch die offenkundige Besitzerin des edlen Tiers aus dem Unterholz trat, hatte Hendrik Mühe, die Contenance zu wahren.

„Gestatten, van Fildern“, Hendriks Stimme war ihres markigen Klangs fast vollständig verlustig gegangen.

„Olufsen, Melitta Olufsen.“ Sie war ein entzückendes dänisches Dämchen, das hörte Hendrik sofort. Ausgerechnet ihm, dem eleganten Flaneur und vollendeten Gentleman, mußte dies Mißgeschick passieren. Hendrik van Fildern drohten schon die Sinne zu schwinden, als der in den nahe gelegenen Bahnhof keuchende Zug ihn gerade noch rechtzeitig in die schnöde Realität zurückpfiff.

Man kam überein, alles Weitere im Zuge zu besprechen.

Kaum war das reglose Windspiel im Gepäcknetz verstaut, entspann sich ein lebhaftes Gespräch, und bald war das Problem „totes Windspiel“ quasi „begraben“. Als sich herausstellte, daß Melitta Olufsen unweit der Provinzhauptstadt Sana eine Geflügelfarm betrieb, erholte sich Hendrik van Fildern von dem Schicksalsschlag. Gewitzter Entrepreneur, der er war, witterte er eine Geschäftsidee und versuchte Melitta die Anschaffung einer Legebatterie nahezulegen, doch umsonst – Melitta schwörte auf Freilandhaltung. Van Fildern war sprachlos. Ihm, dem welterfahrenen, überlegenen Geist wurde widersprochen, noch dazu von einer Frau?

In der Ferne dröhnten dumpf die Bongos der Onkos, als Hendrik van Fildern, nun schon ganz in Melittas Bann, derselben näherrückte. Melittas bezaubernder, an Wencke Myrrhe gemahnender Akzent, ihr glockenreines Lachen ermutigten Hendrik zu einem kühnen Vorstoß.

„Dürfte ich Sie in meinem bescheidenen Heim zu einem Täßchen selbstgerösteten Mokkas einladen ...“ Hendrik van Filderns Stimme klang entschlossen.

„Oh, mein Mildør!“ Mehr brauchte Melitta nicht zu hauchen. Er näherte sich ihrer duftenden Wange ... doch just in diesen Moment magischen Einverständnisses, in die Entrücktheit selbstvergessenen Liebeshändels hinein lockerte sich unmerklich die Halterung der Gepäckablage. Als Hendrik dann endlich zum alles besiegelnden Kuß ansetzte, löste sie sich vollends. Mit einem dumpfen Schlag fiel das abgelegte Windspiel auf die darunter Tändelnden herab und legte seine kalten, starren Läufe um ihre liebesdurchglühten Schultern. Melittas Schrei übertönte mühelos den Pfiff der Lokomotive ... Rüdiger Kind