Phlegmatische Lustautomatin vs. verwirrter Phallokrat

■ In „Meine Heldin“ schläft ein üppig gebautes Mädchen oft und gern mit einem Philosophen. Doch weiß er es zu würdigen?

Martin ist Philosoph. Wenn er denkt, ist das kein Spaß. Das ist ein Ausnahmezustand. Ein gepflegtes Außer-sich-Sein für den eigenen Geniekult und andere bildungsbürgerlichen Albernheiten. Und wenn er ein Buch schreibt, ist das, als zöge er in den Krieg. Keine Gnade, keine Gefangenen, keine Frauen.

Auf den Schlachtfeldern solcher Geister herrscht das Zölibat. „Ich wollte mir die Liebe abgewöhnen“, erzählt er – immer noch stark bewegt vom selbstgewählten Martyrium in einer Welt ohne Mitleid – aus dem Off zu Bildern von nächtlichen Autofahrten. Natürlich regnet es, die Windschutzscheibe beginnt solidarisch zu weinen, und der Pariser Straßenstrich zieht im Fenster vorbei.

Wer Aug' in Aug' mit dem großen Ganzen ringt, sich mit den Zumutungen des Leib-Seele-Problems rauft, aber das Leben und die Liebe aussperrt, dem gehen für das Monster „Leidenschaft“ – schließlich sind wir in einem französischen Film – frühzeitig die rationalen Geschütze aus.

Das Monster in „Meine Heldin“ ist siebzehn, heißt Cécilia (Sophie Guillemin) und posiert als Model für einen herzschwachen Maler, den die Ekstase auch gleich dahinrafft. Cécilia ist prall wie die Leidenschaft, die sie verkörpern soll. Sie ist stets willig, und wenn sie stöhnt, klingt das in Martins Ohren immer dankbar. Egal, wie schwer er auf ihr liegt. Egal, wie brutal er sie auch beschläft.

Erniedrigung oder Rücksicht, Euphorie oder Qual, in der Lust, wie sie beim Mannschaftssaufen oder von verwirrten Phallokraten wie Martin (Charles Berling) buchstabiert wird, ist das alles gleich. Unter seiner Egomanie und unter der Regie von Cédric Kahn verkümmert das Mädchen zur phlegmatischen Lustautomatin, die bei jeder Handhabung in ansehnliche Verzückung fällt. Da kommt Martins Zwang, Cécilia ständig zu besteigen, als sei sie das letzte Massiv weiblichen Eigensinns, schon einem albernen Spasmus gleich.

Viel zu sagen hat Cécilia nicht, das übernimmt der Denker. Und wo sich Einfalt und Eitelkeit unterhalten, bekommt der Wille zur Bedeutsamkeit schnell einen Schluckauf wie diesen: Er: „Vielleicht hatte er Angst? – Sie: „Wovor?“ – „Vor der Liebe.“ – „Ich habe keine Angst.“ – „Wovor?“ – „Vor der Liebe.“ – „Mmmh.“

Was wie eine Lektion aus der „Sesamstraße“ zum Thema W-Wörter (heute: „Wovor“) klingt, wird dabei mit einer Anstrengung vorgetragen, als hätte man Tschechow zu geben. Hier noch ein stumpfer Blick, den man mit viel gutem Willen und verschwitzer Phantasie „mysteriös“ nennen könnte. Da noch eine Hand auf die heißlaufende Stirn. Fertig ist die schwüle Hinterglasmalerei mit dem Titel „amour fou“.

Cédric Kahns Verfilmung des Alberto-Moravia-Stoffes „La Noia“ meint es tatsächlich ernst. Mit der Lust, der Liebe und den Frauen. Wo eigentlich der geeignete Spielplatz für einen lustigen Stadtneurotiker mit frühkindlichem Schwellkörpertrauma wäre, schwingt sich in melodramatischen Stilisierungen ein larmoyantes Schreiberlein auf. Es faselt mit studentischem Eifer von freien Begierden und falschen Beklemmungen. Es summt den Blues vom Steppenwolf und dem kleinen Mädchen. Und es versteigt sich zum Hohelied auf Cécilia, der geheimnisvollen Kämpferin gegen alle Leibeigenschaft. Insgesamt ein recht ungelenker Diener vor dem uralten Heilige-Hure-Altar.

Der ewige Topos von der Frau in der geräumigen Grauzone zwischen flatterhaftem Alien und gefallenem Engel kommt hier so verkrampft daher wie die meisten seiner Abonnenten. Was übrigbleibt, ist dumpfer Mystizismus in einer patriarchalen Rekonstruktion der Frau als Rätsel. Und nicht selten verrät ein Film wie dieser, der das vermeintliche Geheimnis der Frau auf den Objekträger legt, das Widerstandspotential seiner Akteurinnen an das Raunen des Kitsches.

„Meine Heldin“ will die Frau wiederhaben, die für jeden Orgasmus mit dem kleinen Tod bezahlt, die für das männlichen Begehren am Leben nagt, die im Blümchenkleid und an verregneten Fensterscheiben nach der Antwort auf ihre unbestimmte Sehnsucht Ausschau hält und die selig lächelt, wenn der Papa mit seiner inzestuösen Eifersucht das Sonntagsessen vergiftet.

Die Frau, das fatale, fatalistische Wesen – trüge diese Projektion nicht schon den Altherrenbart, Cédric Kahn hätte sie sicher gerne erfunden. Birgit Glombitza

„Meine Heldin“. Regie: Cédric Kahn. Mit Charles Berling, Sophie Guillemin, Arielle Dombalse u.a. Frankreich 1998, 120 Minuten