„Guter Diener, schlechter Herr“

■ Die Publizistin Susan George plädiert für einen stärkeren Nationalstaat und Kapitalverkehrskontrollen. Der Markt hat auch eine Kontrollfunktion

Susan George, Referentin auf dem alternativen Weltwirtschaftsgipfel in Köln, hat zahlreiche Bücher über die Schuldenkrise und den Weltmarkt veröffentlicht. Sie lebt in Paris, wo sie an der Erarbeitung alternativer Investitionsregeln beteiligt war, die kommende Woche an der Universität Paris vorgestellt werden.

taz: Sowohl auf dem offiziellen als auch auf dem alternativen Weltwirtschaftsgipfel wird über eine Kontrolle oder gar Regulierung der globalen Finanzmärkte nachgedacht. Kommen sich die Staatschefs der G7 und die Gruppen der Zivilgesellschaft in Köln erstmals inhaltlich näher?

Susan George: Das glaube ich nicht. An der virtuellen Regierung der Finanzmärkte viel zu ändern, ist die G7 nicht bereit.

Wie funktioniert diese virtuelle Regierung?

Wenn die Investoren eine bestimmte Politik nicht mögen, etwa sozialstaatliche Politik oder eine bestimmte Währungspolitik, stimmen sie einfach dagegen, indem sie ihr Kapital abziehen und das Land damit in die Krise stürzen.

Man muß also nur das Kapital daran hindern, schlagartig die Flucht zu ergreifen?

Kapitalverkehrskontrollen sind ein Teil der Antwort. Chile zum Beispiel oder China konnte sich damit weitgehend aus den jüngsten Finanzkrisen heraushalten. Zu einer Antwort gehört aber auch, daß sich die Regierungen genau überlegen müssen, was mit dem hereinkommenden Kapital geschehen soll: ob beispielsweise in die Förderung des Dienstleistungssektors oder der Landwirtschaft investiert wird.

Sie plädieren für eine Rückverlagerung der Regulierung auf die nationalstaatliche Ebene?

Es stimmt, ich gehöre zu den Verteidigern des Nationalstaats – demokratische Strukturen vorausgesetzt. Wenn wir ihn nicht haben, wer sollte denn dann für soziale Sicherheit sorgen, für Gesundheitsversorgung und Bildung? Aber ich sage nicht, daß wir keine Regeln auf der internationalen Ebene brauchen. Investitionsregeln zum Beispiel, die die Unternehmen nicht nur gegenüber ihren Anteilseignern verantwortlich machen, sondern auch gegenüber der Umwelt und den Angestellten beziehungsweise der Bevölkerung in den Gastländern.

Immerhin wollen die G-7-Regierungen jetzt ein paar international gültige Regeln für die Überwachung globaler Kapitalströme einführen.

Ja, aber warum funktionieren diese Regeln nicht? Weil sich die Investoren darauf verlassen können, daß im Notfall der IWF oder die Regierungen der G7 zu Hilfe kommen.

Diese Rettungsmaßnahmen werden sogar von einigen G-7-Regierungen in Frage gestellt: Man müsse, statt Hilfspakete zu packen, dem Markt freien Lauf lassen.

Ein wesentlicher Teil des Kapitalismus ist das Risiko. Investoren, die ein finanzielles Risiko eingehen, werden dafür durch höhere Zinsen belohnt. Pervers ist es innerhalb dieses Systems, das Risiko auf Kosten der Steuerzahler auszuschalten, aber trotzdem den Investoren die hohen Erträge zuzugestehen.

Und wer sollte das ändern?

Ich habe den Eindruck, die Gesellschaft wacht auf. In Frankreich, wo ich lebe, gibt es kaum noch eine Familie, in der nicht jemand von Arbeitslosigkeit betroffen ist. Die Menschen machen sich Gedanken, was der Weltmarkt für sie bedeutet. Der Widerstand wächst – manchmal sogar mit Erfolg, wie das gekippte multilaterale Investitionsabkommen MAI zeigt.

Der französische Präsident Jacques Chirac scheint den Druck zu spüren. Immerhin hat er angekündigt, sich auf dem G-7-Gipfel gegen Sozialdumping im Welthandel einzusetzen, was zu Handelsbeschränkungen führen könnte. Was wäre das bestmögliche Ergebnis, das der Kölner Gipfel erzielen könnte?

Eine spürbare Erleichterung bei den Schulden der Entwicklungsländer. Und daß die G7 einsieht, daß Regulierung der Finanzmärkte nicht gleichbedeutend ist mit mehr Macht für den IWF. Ich wäre zufrieden, wenn die G7 endlich den Markt als das erkennen würden, was er ist: ein guter Diener, aber ein schlechter Herr.

Interview: Nicola Liebert