Auch die Bafög-Reform kippt

■ Rot-grüne Koalition muß auf weiteres zentrales Reformvorhaben verzichten. Ausbildungsförderung für alle scheitert an Familienurteil

Berlin (taz) – Miserabel gelaunt verließ die kleine Runde das Bundestagsrestaurant. Was der Zirkel rot-grüner Steuer- und Bildungsexperten am Donnerstag nachmittag erörtert hatte, sieht wie ein weiteres Waterloo der Regierungskoalition aus. Die grundlegende Reform der Ausbildungsförderung, eines der zentralen Vorhaben der Schröder-Mannschaft, ist so gut wie nicht mehr hinzubekommen. Wenn man das Vorhaben genau prüfe, sagt Bildungsministerin Bulmahns Sprecherin, „dann wird es sehr schwierig“.

Zusammen mit den Kultusministern der Länder wollte Edelgard Bulmahn (SPD) ein kleines Bafög für alle einführen. Auf 350 bis 400 Mark sollte jeder Studierende zugreifen können. Das wäre verfassungswidrig, heißt es nun, weil das die Kinder von Spitzenverdienern benachteiligen würde. Das darf nicht sein.

Der Grund ist einmal mehr die Entscheidung des Verfassungsgerichts zur Familienbesteuerung vom November 1998. Das Gericht pocht auf die sogenannte horizontale Steuergerechtigkeit. Die besagt, daß die Kinder gutverdienender Eltern steuerlich stärker entlastet werden müssen als die von Geringverdienern. Für das geplante Bafög für alle bedeutet diese Vorgabe das Aus. Sein Fördersockel sollte nämlich aus der Zusammenfassung von Steuerfreibeträgen für Familien finanziert werden. Nun müßte der Sockel mindestens 460 Mark betragen – damit die Kinder von Spitzenverdienern genau den Vorteil ziehen können, den ihren Eltern ein Freibetrag beim Spitzensteuersatz von 48 Prozent bringen würde.

So stecken die rot-grünen Gesetzgeber erneut in der Klemme. Ihr Modell scheitert entweder an der Rechtsauffassung des Verfassungsgerichts. Oder aber es ist zu teuer. 460 Mark für jeden der 1,8 Millionen Studierenden, das kann sich Finanzminister Hans Eichel (SPD) nicht leisten. Die billige Variante der Sockelförderung von 350 Mark würde im Bundesetat mit 4,1 Milliarden Mark jährlich zu Buche schlagen.

„Wir müßten einen Milliardenbetrag für Kinder lockermachen, die nicht wirklich bedürftig sind“, ärgert sich der bildungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Stephan Hilsberg, über die engen Vorgaben aus Karlsruhe. „Das pauschalierte Ausbildungsgeld ist damit in weite weite Ferne gerückt.“ Im Deutschen Studentenwerk ist man geradezu erbost. „Es gehört auf den Prüfstand, daß Millionärskinder besser gestellt werden müssen“, fordert Generalsekretär Dieter Schäferbarthold. Jahrelang bereitete der Dachverband der Studentenwerke das „Bafög für alle“ vor, weil der Anteil der Bezieher in Großstädten bis auf 5 Prozent gesunken ist. Nun scheitere das Modell sang- und klanglos an einer ungerechten Vorgabe.

Bislang hatte Rot-Grün die Aufforderung aus Karlsruhe, Familien steuerlich kräftig zu entlasten, als kräftigen, aber heilsamen Rempler verstanden. Nun zeigt sich, daß die detaillierten Vorschriften Rot-Grün den familienpolitischen Bodycheck versetzen.

In dieser Woche hatten die Familienpolitiker bereits die Pläne für ein einheitliches Existenzminimum für Kinder beerdigt. Auch das war an den verfassungsrechtlichen Bedenken gescheitert, daß die Kinder von Spitzenverdienern nicht genug entlastet werden.

Zähneknirschend hat sich die rot-grüne Koalition nun darauf geeinigt, das Kindergeld um 20 Mark zu erhöhen. Zusätzlich wird der Kinderfreibetrag von knapp 7.000 Mark auf 10.000 Mark erhöht. Dabei handelt es sich um den normalen Steuerfreibetrag, das heißt, ein Spitzenverdiener zieht daraus Vorteile in Höhe von bis zu 5.800 Mark. Bezieher kleiner Einkommen hingegen erhalten maximal 2.700 Mark.

Die rot-grünen Familienpolitiker sehen sich „in einer absurden Situation“ – als linke Reformregierung müssen sie Millionärsprivilegien verteidigen. „Aber wir haben noch nicht aufgegeben“, gibt sich Stephan Hilsberg trotzig.

Christian Füller