„Das begreift niemand mehr“

■ Aus Sicht der Grünen Christa Nickels steht der katholischen Kirche bei einem Beratungsausstieg ein massiver Glaubwürdigkeitsverlust bevor

taz: Wie beurteilen Sie einen möglichen Rückzug der katholischen Kirche aus der Schwangerenkonfliktberatung?

Christa Nickels: Das Gesetz schreibt vor, daß ein plurales Angebot von Konfliktberatungsstellen vorgehalten werden soll. Hier spielen die katholischen Schwangerenkonfliktberatungsstellen eine sehr wichtige Rolle, gerade auf dem Land. Dazu kommt, daß die katholische Kirche immer sehr vehement für den Schutz allen Lebens eintritt. Und wenn man sich genau in diesem Punkt aus der Verantwortung stiehlt, weil Vorschriften heiliger sein sollen als das Leben, dann begreift das niemand mehr.

Welche Auswirkungen sehen Sie für das Verhältnis von Kirche und Gesellschaft?

Wenn sich die katholische Kirche in diesem subsidiären Bereich, wo es um substantielle Fragen geht, auf Ukas von Rom herauszieht, stellt sich verschärft die Frage nach ihrer Glaubwürdigkeit im Rahmen von subsidiär vergebenen Aufgaben. Das ist Wasser auf die Mühlen derjenigen, die meinen, Kirche solle sich im stillen Kämmerlein abspielen und die schnöde Welt solle selber sehen, wie sie ihre Angelegenheiten geregelt bekommt.

Wenn die Kirche sich hier nicht mehr engagieren will – wird sie sich dann nicht auch aus anderen Bereichen zurückziehen?

Ich glaube, das ist noch nicht entschieden. Hier steht wirklich ein grundlegendes Verständnis von Kirche und gelebtem Glauben zur Debatte. Ich gehe davon aus: Wenn die Bischöfe einknicken sollten – was ich nicht wünsche –,daß dann die Laienverbände sagen werden, wir lassen uns das nicht nehmen, wir machen das jetzt in eigener Verantwortung.

Wird ohne die katholische Beratung die Zahl der Abtreibungen steigen?

Da möchte ich gar nicht spekulieren. Tatsache ist aber, daß die Schwangerenkonfliktberatungsstellen der katholischen Kirche gerade von solchen Frauen aufgesucht worden sind, die ein existenzielles Gespräch führen wollten. Dieses Angebot fiele dann einfach weg. Die anderen Beratungsstellen beraten auch gut. Die Kirche muß sich fragen lassen, was denn ihr Gerede vom Schutz des Lebens und vom Beistand in Konfliktsituationen wirklich in der Praxis zählt, wenn sie sich jetzt unter großem Getöse aus der Verantwortung stiehlt, nur um eine dogmatische Vorgabe aus Rom zu befolgen.

Ist die katholische Amtskirche überhaupt noch glaubwürdig?

Es wird jedenfalls eine riesengroße Verbitterung innerhalb der Kirche geben. Die meisten Gläubigen halten viele dogmatischen Vorgaben sowieso nicht mehr ein. Am schlimmsten ist jedoch der Glaubwürdigkeitsverlust in der Gesellschaft insgesamt, die die Kirche an ihrem Anspruch und ihrer Wirklichkeit mißt. Die passen ja überhaupt nicht mehr zusammen.

Interview: Stefan Kuzmany