■  Die Zahl von Massakern und Morden im Kosovo scheint die schlimmsten Befürchtungen der letzten Monate zu übertreffen. Ermittler haben begonnen, Beweise zu sichern. taz-Reporter Erich Rathfelder besuchte Dörfer um Prizren. Er fand Zerstörung, Gräber und Schmerz
: Unterwegs auf der Straße des Todes

Die Dächer sind zerborsten, die Fensterhöhlen von Ruß geschwärzt, die schön geschnitzten Eingangstore zu den Bauernhöfen zersplittert. Im Dorf Pirana, einen Steinwurf von der Straße Prizren-Djakova, stehen von 300 Häusern noch zehn. In den Innenhöfen der Anwesen liegen Möbelteile, Kleidungsstücke, Arbeitsgeräte und tote Haustiere. Pirana wurde am 24. März 1999 zerstört. Die serbischen Freischärlertruppen und die jugoslawische Armee haben ganze Arbeit geleistet.

Masar Elshani, ein 20jähriger Junge, hat hier überlebt. Die meisten waren nach Albanien geflohen, doch er und noch ein paar andere junge Leute hielten aus. Er weiß, was hier geschehen ist. Er zeigt auf ein Haus, einen Rohbau. Im ersten Stock liegt die Leiche einer Frau. Sie ist weitgehend verwest, ihre Arme sind vom Körper abgetrennt. Sie wurde, versichert er, am 24. März von den Serben ermordet.

„Solche Leichen kann ich dir mehrere zeigen“, sagt der junge Mann. „Und in den Nachbardörfern Velika Krusa, Celina, Zrze und Bela Cirkva haben Massaker stattgefunden.“ UÇK-Kämpfer weisen den Weg nach Velika Krusa. Hilmi Duraky, ein älterer Mann, führt mich. Auch in diesem Dorf ein Bild der Zerstörung. Am Dorfrand steht ein Panzerwagen der Bundeswehr. Ein Soldat läßt mich nicht weiter. Er habe den strikten Befehl, keine Presseleute mehr durchzulassen. Erst müsse ein Team der Armee dort das Geschehen selbst dokumentieren.

Hilmi Duraky erzählt: Am 25. März um zehn Uhr morgens seien die Soldaten gekommen. Panzer hätten auf das Dorf geschossen. Viele Menschen seien geflohen, andere seien in die Moschee getrieben worden. Später seien ein Lastwagen, ein Kombibus und ein PKW gekommen. Er, seine Familie und die Nachbarn seien geflohen, er konnte aber noch mit eigenen Augen sehen, wie rund 20 Menschen in das Haus des Nachbarn geführt wurden. Dann brannte das Haus. Die verkohlten Leichen wurden vor wenigen Tagen von deutschen und niederländischen Soldaten gefunden.

„Zweimal in meinem Leben mußte ich vor den Serben fliehen“, sagt Hilmi Duraky. 1956, unter dem Regime des berüchtigten serbischen Innenministers Rankovic, sei er das erste Mal nach Albanien geflohen. Sein Vater wurde damals ermordet. Erst 1964 konnte er zurückkehren.

Jetzt mußte er das zweite Mal nach Albanien fliehen. Vor drei Tagen ist er aus dem Lager von Kukäs zurückgekommen. „Wir werden alles wieder aufbauen. Mit Serben zusammenleben will ich aber nicht mehr.“

Der Ort Bela Cirkva liegt in einem fruchtbaren, weiten Tal. Nexhemidin Popaj ist gerade, erst vor einer Stunde, aus Tirana zurückgekehrt. Jetzt steht er vor den Ruinen seines Hauses, gegenüber der ebenfalls zerstörten Moschee. „Wir haben alles verloren“, er deutet auf die ausgebrannten Wracks seines Autos und seines Lieferwagens. Eine Woche vor den Nato-Bombenangriffen hätten die serbischen Truppen von einem nahegelegenen Hügel mit Artillerie ins Dorf geschossen. Hajrullah Fetosh, ein Nachbar, taucht auf. Sie umarmen sich. Fetosh hat drei Familienmitglieder verloren. 57 Menschen seien hier begraben in einem Massengrab, sagt er.

Auf dem ungeteerten Weg ins Dorf Celina sind drei Traktoren unterwegs. Auf den Anhängern sitzen Frauen und Kinder und winken lachend. Sie haben es nicht weit nach Hause, nach Zrze. Ein Traktor ist schon angekommen. Die Menschen stehen fassungslos vor dem, was von ihrem Haus übrig geblieben ist.

Die Frauen fangen an zu weinen. Im Garten ist der Vater erschossen worden. Ein Nachbar hat ihn bestattet. Dieser Nachbar führt mich auf einen verwilderten Friedhof. Elf Menschen ohne Namen, vier mit Namen sind hier begraben. Sie seien aus dem Dorf Postasel hierhergeschafft worden, sagt Veili Kryezin, der selbst am 4. Mai fliehen mußte. In Postasel sei es zu einem großen Massaker gekommen.

In Celina angekommen, werde ich von Ilmi Rexhepi, einem jungen Mann, der hier ebenfalls geblieben war, zu einer Hinrichtungsstätte geführt. Patronen liegen herum, ein geborstener Schädel ist zu sehen, Einschlaglöcher in den Wänden. An dieser Stelle wurden am 26. März 13 Menschen erschossen. Er gibt mir die Namen, es sind einige Mitglieder seiner Familie darunter, auch seine Mutter.

Wir gehen weiter auf der Straße des Todes. Es fällt schwer, die zerstörten Anwesen noch zu beachten. In manchen Häusern liegen noch Leichen. Eine Frau, Miradije Hoti, führt mich zu einer Stelle, die das Blut erstarren läßt. In einem normalerweise ausgetrockneten Bachbett hatten sich am 25. März 24 Menschen, Frauen und Kinder, dort vor der serbischen Soldateska verstecken wollen. Man sieht noch die Matratzen, man sieht noch Kleidungsstücke in dem von Büschen überwucherten Hohlweg. „Sie wurden hier ermordet“, sagt die Frau. Ihr Vater und einige andere Männer hätten sie später dann in diesem Massengrab begraben. Ein drei mal fünf Meter großes Feld ist da zu sehen, überdeckt nur durch junges Gras. Dicht dabei liegen weitere Gräber, weitere fünf Tote dort, eine unbekannte Frau da, zwei Tote in diesem Haus, drei Tote dort gegenüber.

Genug. Mein Rundgang fand in einem Umkreis von fünf Kilometern statt. Dieser Teil Kosovos, nahe Prizren und Orahovac, ist ein Tal des Todes, des Schmerzes und der Zerstörung.

Erich Rathfelder, Prizren