Der Mönch, der die Ganoven mimte

Der Salesianerpriester Thomas Astan ist Künstlerseelsorger in Berlin. Das war nicht immer so: Vor der Andacht im Klostergarten und der Suche nach Gott spielte er die Bösewichte für „Derrick“ und den „Alten“. Heute spricht er schon mal mit Sexsymbol Verona Feldbusch  ■   Von Annette Rollmann

Wenn Thomas Astan am Tisch seiner Mitbrüder zu Mittag ißt, wirkt er wie ein Gast aus einer anderen Welt. In seinem hellen beigen Sommeranzug hat er sich in die Runde bei schwerem Eichenfurnier, Topfpflanzen und Kohlsuppe eingefunden. Er reicht freundlich die Schüsseln hin und her und bleibt der Runde der Männer, die sich wie in einer Familie mit barschen Bemerkungen untereinander nicht zurückhalten, trotzdem fern. „Dennoch gibt mir die Gemeinschaft Kraft“, sagt der 54jährige Pater, dessen blonde, mittellange Haare wie eine Reminiszenz an die siebziger Jahre wirken, eine andere Zeit und ein anderes Leben.

Seit Anfang des Jahres lebt Thomas Astan bei den Salesianern im Don-Bosco-Heim am Wannsee und arbeitet, vom Erzbistum Berlin und seinem Orden beauftragt, als Künstlerseelsorger in Berlin-Mitte. Doch die Nähe, die er im himmlischen Bund zu seinen Brüdern findet, ist eine gebrochene im Leben auf Erden: Bis vor zehn Jahren war der Seelsorger ein gefragter Schauspieler und Regisseur in München und Berlin und lebte das typische Leben derjenigen, die man damals so gerne unter dem klangvollen Begriff des Jet-set subsummierte. „Wenn jemand mit sich selbst nicht im klaren ist, ist er frei für Phantasie. Das Gottesbild holt die Menschen da ab, wo sie sind“, begründet der Mönch seinen Kostümwechsel vom windigen Ganoven ins geistige Gewand der Kirche.

Thomas Astan spielte jahrelang unter anderem am Schiller Theater und mimte bei „Derrick“ und dem „Alten“ die Bösewichte. „Mein Gesicht ist halt nicht so böse, da haben die mich immer gerne besetzt. Während des Krimis denkt der Zuschauer lange: Das ist ein Guter“, sagt der Kirchenmann und blickt dabei besonders freundlich durch seine Brille im Carreraschnitt, und tatsächlich kann man sich eigentlich nur den good guy vorstellen. Allerdings einen, der um seine Wirkung weiß und damit eben auch spielt.

Der Auslöser für Astans inneren Wandel war der Tod eines jungen Assistenten, der mit der Diagnose Aids auf dem Totenbett lag und anfing, Fragen nach dem Sinn seines Todes zu stellen. Der Todgeweihte und „ich als quasi Vaterfigur“ konnten die Fragen nur mit dem Wort Sinnlosigkeit beantworten. „Auf einmal erschien mir mein Leben im Glamour der Filmwelt leer“, erinnert sich Astan an die langen Stunden am Sterbebett, nachdem er in der lichten Bibliothek des Klosters mit beigen Sofaecken und Häkeldecken den Kaffee serviert hat.

Er habe sich zunächst einmal in die Einsamkeit Umbriens zurückgezogen. Bevor er sich dann für den drittgrößten katholischen Orden, den der Salesianer mit 18.000 Mitgliedern, entschied, guckte er sich bei den Benediktinern und Jesuiten um. Mit über vierzig nahm er ein Theologiestudium in Rom auf. Schließlich wurde er vor gut drei Jahren zum Priester geweiht. „Aber ich wollte nicht hinter Klostermauern verschwinden“, sagt er und dahinter steht die Einsicht, daß man ein Leben verändern, aber sich nicht komplett neu erfinden kann. Bei den Salesianern schien ihm das möglich zu sein. Sie müssen weder Schweigezeiten einhalten noch Kutten tragen und haben einen Klostervorsteher, der nicht den Titel Abt, sondern die weltliche Chefbezeichnung Direktor trägt.

Vor allem das soziale Engagement des Ordens überzeugte ihn, der sich heute in der Kinder- und Jugendarbeit engagiert. Am Wannsee betreuen die Priester Kinder und Jugendliche aus sozial geschädigten Familien und versuchen ihnen jenseits der rauhen Wirklichkeit ihrer Familien ein neues Zuhause in einer Idylle mit Pferden und Sportplatz zu bieten. Aber die kirchliche Sozialarbeit endet nicht an der deutschen Grenze: Der Orden ist in vielen Regionen der Dritten Welt, vor allem in Südamerika, tätig.

Die Patres wollen die Straßenkinder aus den Favelas in eine Zukunft jenseits von Slums, Armut und Diebstahl weisen. In den zwei Jahren, in denen Thomas Astan Priester in Bonn gewesen ist, kümmerte er sich überwiegend um diese Art von Projekten „und versuchte Geld im Bundesentwicklungsministerium lockerzumachen“. „Eine solche Agentur soll Astan auch in Berlin aufbauen“, sagt Direktor Norbert Häck und überrascht mit seinem zeitgemäßen professionellen Jargon. „Wir wollen mit unseren Dritte-Welt-Projekten auch in Zukunft am Regierungssitz präsent sein.“

Doch das eine ist der Willen des Ordens. Das andere, was Thomas Astan momentan beflügelt: seine Arbeit als Künstlerseelsorger. Weihevoll könnte man formulieren: Der Intellektuelle ist bei seiner derzeitigen Aufgabe als Künstlerpater zu sich selbst zurückgekehrt. „Die Künstler akzeptieren mich, weil ich einmal einer von ihnen war.“

Als Astan für ein Porträt über ihn bei seinem Künstlerfreund Kani Alavi vom Fernsehen gefilmt wird, läßt er den Priester einmal Priester sein: „Kommen Sie herein, begrüßen Sie sich bitte da vorne, und fangen Sie ein Gespräch an“, sind die Anweisungen des Regisseurs. Thomas Astan öffnet die Tür, handelt, wie ihm geheißen, und tatsächlich könnte dieses auch der Beginn eines Krimis sein, wo der gute Mensch in Wahrheit der Ganove ist. „Perfekt“, sagt der Regisseur dann auch, und die Kamera geht aus. Astan grinst, und natürlich kommt es ihm nicht ganz ungelegen, der Runde von Fernsehleuten von seiner Zeit als Schauspieler zu erzählen, um dann wieder scheinbar in priesterliche Zurückhaltung zu fallen: „Ich brauche kein Lob, Kinder.“

Thomas Astan beherrscht die Gratwanderung zwischen Eitelkeit und Extrovertiertheit des Künstlers und der gebotenen Zurückhaltung des Kirchenmannes. Er bedient je nach Anlaß das jeweilige Bild. Doch er wäre fehl am Platze, wenn er ausschließlich mit den traditionellen Ansätzen der Kirche versuchen würde, die Künstler zu erreichen, wenn er gar versuchen wollte, diese zu missionieren: „Ich will mit den Leuten über ihr Gottesbild diskutieren und natürlich über Kunst.“ Selbstverständlich habe er genau deswegen ein Büro im Künstlerhaus in Berlin-Mitte gemietet, da, wo auch die meisten Künstler leben. Er besuche sie gerne in ihren Ateliers. Schließlich, so ist er überzeugt, gebe es mehr Gläubige als jemals zuvor. „Nur mit der Institution Kirche haben die Menschen heute ein Problem.“

Die Kirche habe sich lange Zeit nicht um Künstler gekümmert, die letztlich oft viel mehr mit sich selbst und der Welt hadern als andere Menschen. „Sie sind oft sensibler und radikaler zugleich“, sagt der Priester und kritisiert die Gefälligkeitskunst, die in den letzten Jahrzehnten in Kirchen und Gemeindesälen überhandgenommen habe, als schalen Ausdruck der Vorstellung der Kirche von moderner Kunst. „In Wahrheit ist so eine Kunst oft nicht mehr als Kunsthandwerk.“ Aber auch wenn die Künstler sich von der Institution Kirche abgewandt hätten, „schafft sich der Geist immer neue religiöse Bilder. Nur die Kirche muß sie auch zulassen“, sagt er so emphatisch und eindrücklich, als wolle er nicht beim Lenken seines VW-Golfs durch das verkehrsverstopfte Berlin seine Beifahrerin missionieren, sondern als würde er direkt von der Kanzel hinunter in die Institution Kirche hineinsprechen.

Aber auch bei seinen Gesprächen mit den Künstlern nutzt Astan seine Erziehung und Ausbildung. Der Großvater, ein Architekt, habe ihn nach dem Krieg in Schmallenberg im Sauerland gelehrt, in einem großen Rahmen groß aufzutreten. Nicht ohne Genugtuung hatte er sich am Kaffeetisch mit dem Deckchen daran erinnert. Als Schauspieler habe er zudem eine phonetische und stimmliche Ausbildung bekommen. „Das setze ich natürlich ein. Im Gespräch und auf der Kanzel.“ Antiquierte Kirchensprache ist seine Sache nicht. „Ich versuche sprachlich und mit meinen Geschichten am tatsächlichen Leben der Menschen dranzubleiben.“

Aber Thomas Astan scheut sich nicht, kirchliche Inhalte auch öffentlich darzustellen und die weite Wirkung des Medium Fernsehen zu nutzen. „Die Kirche hat davor Angst“, sagt er, der kürzlich Verona Feldbusch für Sat.1 interviewte. Die Entertainerin sei eben nicht nur Sexsymbol, sondern sie sei auch sozial engagiert. „Wenn sie zum Sexsymbol gemacht wird, ist das die Sicht der Leute. Aber man kann ihren Bekanntheitsgrad auch für die Vermittlung sozialer Botschaften nutzen“, sagt er selbstbewußt. Denn es hat ihm in Kirchenkreisen nicht nur Schulterklopfen eingebracht, daß er die brünette Entertainerin interviewt hat, die Millionen deutsche Männer, so kann man sich vorstellen, in Wahrheit gerne auch mal im heimischen Bett hätten.

Auch wenn Astan an der Welt der Schönen und Reichen noch immer als Götterbote Anteil hat, ist ihm der irdische süße Sündenpfuhl von Geld und Sex doch weitgehend verschlossen. Sein gesamtes Vermögen hat er wie alle Priester des Ordens der Gemeinschaft überschrieben. Vor seiner Zeit bei den Salesianern lebte er zusammen mit einer Frau in einer 180 Quadratmeter großen Wohnung. Heute bewohnt er zwar keine Mönchsklause, aber das Einzimmerappartement im Don-Boso-Heim von 25 Quadratmetern bietet sich nicht gerade für ausschweifende Partys an. Der Moment, als das alte Leben äußerlich aufhörte und das neue beginnen sollte, habe ihn damals wahnsinnig durcheinandergewirbelt, sagt er. „Unter Haben auf dem Kontoauszug stand nichts mehr“, beschreibt er den Augenblick, als er das erste Mal seit seiner Kindheit kein eigenes Geld mehr hatte.

Und die Frauen? Über die sexuelle Entsagung, die mit dem Leben eines Priesters einhergeht, spricht er nur zögerlich. Er habe die Wonnen erlebt. „Heute kann ich gut verzichten“, sagt er, und der Satz klingt zwar gelassen, aber nicht heiter. Man hört das Pflichtgelöbnis an die Institution Kirche heraus. Doch der Schauspieler, der jetzt Seelsorger ist, ist bereit, diesen Tribut zu zahlen.