„Auch wir haben Schuld auf uns geladen“

■ Margot Käßmann, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentages, künftig Bischöfin der hannoverschen Landeskirche, über den kaum hörbaren Protest der Laien am Kosovo-Krieg

Die Theologin Margot Käßmann, 41 Jahre, ist seit 1994 Generalsekretärin des Deutschen Evangelischen Kirchentages, der größten evangelischen Laienveranstaltung der Bundesrepublik. Sie war die erste Frau auf diesem Posten. Der 28. Kirchentag in Stuttgart wird auch ihr letzter in dieser Funktion sein. Am 5. Juni wählte sie die Synode der hannoverschen Landeskirche zu ihrer neuen Bischöfin. Sie ist damit die zweite Frau nach Maria Jepsen in Hamburg, die ein Bischofsamt bekleidet. Käßmanns Wahl wurde in konservativen Kreisen nicht begrüßt: Als Mutter von vier Töchtern lasse sie in ihrem neuen Job die Familie in Stich – eine Kritik, die ihrem Konkurrenten, einem Vater von fünf Söhnen, nicht zuteil wurde. Käßmann, die ihr neues Amt am 4. September antritt, verweist darauf, daß ihr Mann sich bislang vorzüglich in der Rolle des Hausmannes bewährt habe und beide ihre Partnerschaft immer schon geschlechterdemokratisch verstanden hätten: „Auch für ihn ist es eine schöne Herausforderung, gegen den Trend zu leben.“

taz: Es ist der dritte Kirchentag, dem Sie als Generalsekretärin vorstehen. Was ist anders?

Margot Käßmann: Es ist ein heiterer, gelöster Kirchentag, der mit Leichtigkeit Zukunftsfragen aufnimmt. Und einer, der mit Verantwortung nach Antworten für unsere Zeit sucht, ob es nun um das Kosovo geht, um die Schuldenfrage der Dritten Welt oder um Lebensformen.

Auffälliger finden wir, daß dieser Kirchentag in einer Hinsicht ein ganz anderer ist als etwa jene, die noch vor zehn Jahren stattfanden: Die Eindeutigkeiten fehlen. Selbst Verteidigungsminister Rudolf Scharping mußte sich keine Proteste gefallen lassen. In jedem SPD-Ortsverein hätte er sich mehr erklären müssen für die Militärpolitik der Regierung.

Ich habe den Eindruck, daß nach den Kirchentagen der achtziger Jahre die Menschen hier sich selbst in dem Dilemma sehen, keine Eindeutigkeiten mehr formulieren zu können – gerade in der Auseinandersetzung um das Kosovo. Auch wenn ich selbst das militärische Engagement dort ablehne, so sehe ich doch, daß ich in dieser Frage ebenso in Schuld verstrickt bin wie alle, die nicht genügend gegen Vertreibungen protestiert haben. Das ist heute eine qualitativ so andere Situation als früher, daß auch ein Kirchentag vor Eindeutigkeiten zurückscheut.

Die achtziger Jahre schienen so einfach ...

... und nun wissen wir, daß sie nicht einfach waren. Damals sind alle Konflikte, mit denen wir uns heute beschäftigen müssen, schon erkennbar gewesen. Die klaren Worte fehlen, heute bleibt uns als Christinnen und Christen nur, ein Dilemma aushalten zu müssen.

Wobei nicht einmal mehr sichtbare Minderheiten „Frieden schaffen ohne Waffen“ fordern.

In den Predigten am Freitag hat man diese Stimmen gehört, aber es ist richtig, sie bringen keine Gesamtatmosphäre auf einem Kirchentag mehr zum Ausdruck.

Liegt es nicht auch daran, daß momentan eine Regierung amtiert, die ganz nach dem Wunsch der Kirchentage ist? Hätte eine christliberale Regierung nicht mit Protest der Kirchentagschristen rechnen müssen, wenn sie sich im Kosovo engagiert hätte?

Schwer zu beantworten, aber neulich sagte einer aus dem Kirchentagskreis, daß es erstaunlicherweise für viele mit dieser rot-grünen Regierung weniger Probleme mit einem militärischen Beitrag im Kosovo gibt. Wobei nicht verkannt werden soll, daß ja auch die Regierung um den richtigen Weg ringt. Das ändert aber nichts daran, daß die Kirche, unabhängig von jeder Regierung, um Frieden ringen muß.

Was heißt das konkret?

Wir müssen sehen, daß auch wir Schuld auf uns geladen haben: Das Pulverfaß in Jugoslawien hätte entschärft werden können – wenn wir Anfang der neunziger Jahre genauer die Probleme dort erkannt hätten. Statt dessen haben wir ohnmächtig immer wieder zusehen müssen, daß die Probleme ausgesessen werden und uns sooft nur die Ultima ratio blieb.

Wenn man die evangelische Kirche gefragt hätte, wäre es nicht zum Kosovo-Krieg gekommen?

Das kann ich nicht beantworten. Wir hätten aber sicher mehr auf Friedenserziehung, auf Meditation, auf Prävention gesetzt. Auch der aktuelle Konflikt zwischen Äthiopien und Eritrea scheint uns nichts anzugehen – aber auch der kann sich schnell zu einem Riesenkrieg entwickeln. Das darf nicht wieder passieren: Daß wir apathisch abwarten, wie sich die Dinge entwickeln, und am Ende kein anderes Mittel als das der Waffen bleibt. Dann ist es immer leicht zu sagen: Seht ihr, mit Pazifismus kommt man nicht weit. Das ist unser Dilemma, nicht nur das von Christinnen und Christen.

Warum erkennen Sie dies erst heute?

Wir haben ja alles versucht, in Jugoslawien Friedensarbeit zu leisten. Aber die hat doch fast niemanden richtig interessiert. Die waren für die Öffentlichkeit langweilig. Und diese Gruppen hatten kein Geld – weshalb ihr Einfluß immer zu gering war.

Der Theologe Fulbert Steffensky meinte auf einer Podiumsveranstaltung, er erkennt in diesem Kirchentag eine stärkere Gottesbezogenheit – einen leisen Abschied von den lauten Tönen der achtziger Jahre. Selbst Marxisten wie Frigga und Wolfgang Fritz Haug sind mittlerweile Gäste auf einem Kirchentag.

Das ist Ende der neunziger Jahre sicher das, was der Kirchentag spiegelt: Eine gewisse Ratlosigkeit vieler Menschen, eine stärkere Befragung der Menschen selbst: Was willst du auf der Welt? Was ist dein Sinn? Die Bibelarbeiten sind überlaufen, das Forum Beten ist voll wie nie, der Wunsch nach Meditation, nach neuen Formen der Spiritualität war hier in Stuttgart ungewöhnlich groß.

Wie erklären Sie sich diesen Trend?

Mit einer Zeit, in der große Unsicherheit herrscht. Einerseits gibt es große Zukunftsängste, aber andererseits wissen auch alle, daß der Machbarkeitswahn am Ende ist. Es gibt keine Emphase des Aufbaus mehr, keinen deutlichen Aufschrei für die Bewahrung der Schöpfung.

Die Zeiten sind offenkundig auch für linke und alternative Menschen vorbei.

Vor zehn Jahren dachten wir, bald werde die Welt in Ordnung, alles wird friedlich. Das hat sich leider als Irrtum herausgestellt, die Konflikte sind nicht so leicht lösbar, im Gegenteil, manche sind noch schlimmer geworden, wobei ich nicht nur an den Kosovo denke. Und aus dieser Verzweiflung kann sich niemand heraushalten – die Kirche am allerwenigsten. Insofern trifft auch unser heimliches Motto mal wieder: Der Kirchentag ist eine Zeitansage. Interview: Jan Feddersen