Wissen, das man loswerden muß

■ Wer spricht, wenn Heinz von Foerster spricht? Die Hör-CD „2 x 2 = grün“ liefert kybernetische Stimmen aus dem Zauberkasten einer oralen Wissenschaftskultur

Bücher zum Hören scheinen Teil einer großangelegten Kampagne zu sein, die sich müht, dem Buch im Zeitalter der audiovisuellen Medien eine adäquate Form zu geben. Wer nicht visuell gehandikapt ist oder den ganzen Tag im Auto verbringen muß, weiß eher wenig anzufangen mit Klassikern auf Kassette oder CD. Ganz anders verhält es sich mit „2 x 2 = grün“, einer „Anthologie von Prinzipien, Theoremen, Postulaten, Aphorismen etc.“ des Kybernetikers Heinz von Foerster.

Ein sprechender Text von Foersters auf zwei CDs ist nicht der schlechte Ersatz für gedrucktes Wort, sondern das Original, die eigentliche Form der Vermittlung eines Theoretikers, der explizit immer wieder den Dialog anderen Ausdrucksweisen vorgezogen hat.

Der Kybernetiker der ersten Stunde präsentiert sich hier als der sprichwörtliche Großvater, der der Nachkommenschaft mit seinem Wissen auch gleich seine Lebenserfahrung und seine ethischen Grundsätze vermittelt. Heinz von Foerster entwickelt aus seiner eigenen Familiengeschichte heraus, wer das eigentlich ist, der da spricht.

Es ist der Urenkel des Ludwig, des Architekten der Wiener Ringstraße, und es ist der Enkel der Marie, einer der ersten Frauenrechtlerinnen Österreichs, unter deren Schreibtisch versteckt der kleine Heinz das Treiben ihres Salons verfolgte. Es ist der Mann, dessen spätere Beschäftigung sich beinahe logisch aus einem Zauberkasten erklärt, den er zusammen mit seinem Cousin geschenkt bekam. „2 x 2 = grün“ würdigt Heinz von Foerster als Exponenten einer oralen Wissenschaftskultur, die in Gleichnissen und Beispielen argumentieren und erzählen kann.

Das Gros der Veröffentlichungen Heinz von Foersters basiert ohnehin auf Transkripten von Gesprächen und Vorträgen, die hier auszugsweise dokumentiert sind. Kern der Auswahl, die der Kölner Verlag supposé zusammengestellt hat, sind die Anekdoten, Aphorismen und grundlegenden Theoreme, die von Foerster zeitlebens wieder und wieder vermittelt hat.

So kommt es vor, daß bestimmte Überlegungen gleich mehrfach, in verschiedenen Versionen angesprochen werden. Etwa die Unterscheidung zwischen trivialen und nicht-trivialen Maschinen. Triviale Maschinen sind Maschinen, deren Wirkungsweise jederzeit analysiert werden kann. Ein Auto oder eine Rechenmaschine, die leicht nachvollziehbar gemäß den Gesetzen der Mathematik die Operation 2 x 2 in das Ergebnis 4 verwandelt. Nicht-triviale Maschinen sind dagegen Maschinen zweiter Ordnung, die die Art und Weise ihres Operierens ständig verändern und daher nicht analysiert werden können: Zum Beispiel das Kind, das auf den Input 2 x 2 nicht mit dem gewünschten Ergebnis „4“, sondern mit „grün“ antwortet.

Die große abendländische Tradition des naturwissenschaftlichen Trennens und Unterscheidens von Sachverhalten kann mit nicht-trivialen Antworten nichts anfangen und errichtet schulische „Trivialisierungsanstalten“, anstatt sich zu fragen, was solch eine Antwort bedeuten könnte.

Foerster, der von Sprache fasziniert ist, zieht die Etymologie heran, um uns ganz trocken zu erklären, daß die indogermanische Wurzel von „scientia“ im indogermanischen „ski“ zu finden ist, das auch in „Scheiße“ enthalten ist. Also das, was man gerne loshaben will.

Der Idee des Trennens und Analysierens stellt der Kybernetiker die Kunst des Zusammendenkens gegenüber, die im Begriff des „Systems“ mündet, der für von Foerster nichts anderes als ein Synonym für die gute alte Magie ist. Anstatt sich als Beobachter zu denken, der vom Locus observandi durch ein Guckloch ins Universum blickt, versteht er sich selbst lieber als Teil des Universums und damit als Teilnehmer eines unendlichen Gespräches.

Die konkrete Form dieses Gespräches, das die Auszüge auf „2 x 2 = grün“ dokumentieren, transportiert umgekehrt immer die Art und Weise des Foersterschen Denkens mit. Hier spricht keiner, der seine Gedanken als Text niedergelegt hat, um diesen vor einem Publikum zu rezitieren. Ganz im Gegenteil scheint von Foerster angesichts seines Gegenübers seine Gedanken im Augenblick des Formulierens aus seinem Repertoire herauszuangeln, ad hoc zu modifizieren und neu zu kombinieren.

Diese dialogische Form ist auf einer CD gut aufgehoben und übermittelt ganz nebenbei jede noch so winzige Nuance in von Foersters Tonfall. Charme, Lebensfreude und Ironie enthalten die eigentliche Botschaft von Foersters, nämlich die Welt immer wieder aufs neue als Wunder zu erfahren. Ulrich Gutmair

2 Audio-CDs, 104 Minuten mit Begleitbooklet, 36 Seiten, 58 DM

Die Kybernetik stellt dem Trennen und Analysieren die Idee des Zusammendenkens gegenüber