■ Was wird aus den Grünen? Eine Antwort auf Jakob von Uexküll
: Vive les Philanthropes!

Mächtig drischt Jakob von Uexküll auf die Grünen ein (taz, 18. 6.): Als Speerspitze des Neoliberalismus gehe es grünen PolitikerInnen nur noch darum, die Menschen zu beschwichtigen, damit diese trotz ihrer Angst vor Umweltkatastrophen noch einen trügerischen Schlaf finden können. Einen Beitrag, den drohenden Weltuntergang zu verhindern, leisteten sie dagegen nicht. Als Kronzeugen für die Notwendigkeit einer erneuerten grünen Partei wird mit Al Gore ausgerechnet der Vizepräsident der USA angeführt, des Landes also, in dem nach Uexkülls Einschätzung „die Arbeitslosen aus der Statistik manipuliert werden oder ins Gefängnis wandern, während die Lebensqualität der Mehrheit absinkt und die Einkommensunterschiede ins Uferlose steigen“.

Uexküll ignoriert, daß sich die Einkommensschere in den USA in Zeiten eines wachsenden Haushaltsdefizites immer weiter geöffnet hat und sich seit der Sanierung des Haushalts durch Clinton wieder langsam schließt. Er nimmt nicht zur Kenntnis, daß uns die Sonne ein unerschöpfliches Energiereservoir zur Verfügung stellt und die Ozeane Wasser ohne Ende. Uexküll verteufelt die Globalisierung pauschal als Ausbeutung der Armen durch die Reichen und verleugnet die Wohlstandssteigerungen in den Entwicklungsländern, die erfolgreich an dieser Globalisierung teilnehmen. Nein, die Rückkehr des Marktes bedeutet nicht die Rückkehr zu einer Ordnung, in der nur die Reichen das Wahlrecht hätten. Das Gegenteil ist richtig: Die marktoffensten Länder der Erde sind zugleich ihre stabilsten Demokratien.

Sind Haß und Massenmord wie in Somalia, Ruanda und Jugoslawien tatsächlich vom Internationalen Währungsfonds zu verantworten? Wer das glaubt, der kann gleich behaupten, daß die Deutschen nach der Weltwirtschaftskrise keine andere Wahl hatten, als Millionen Europäer umzubringen. An Hitler wären nach dieser Logik nicht die Deutschen, sondern ausbleibende Kredite der Amerikaner schuld.

Jakob von Uexküll leugnet, daß es auch in der Ökonomie Gesetzmäßigkeiten wie in der Ökologie gibt, bei deren Mißachtung sich entsprechende Folgen einstellen. Er kanzelt die Grünen ab, weil sie nicht länger bereit sind, Schulden auf Kosten der nachfolgenden Generationen anzuhäufen. Sein Gegenvorschlag allerdings ist unglaublich brutal: Wenn unsere Nachkommen die Schulden nicht verkraften können, werden sie eben durch eine Währungsreform reduziert. Daß dadurch Millionen in Elend gestürzt werden, ist anscheinend nicht der Rede wert. Über die Auswirkungen auf die demokratischen Grundrechte möchte ich gar nicht erst spekulieren. Dieses Denken ist durchdrungen von der Vorstellung, die Welt sei beliebig gestaltbar, wenn nur der politische Wille dafür vorhanden wäre. Das Leben und die grundlegende Kraft dahinter ist glücklicherweise größer als jedes menschliche Wollen.

Man stelle sich nur einmal den Horror einer Welt ohne jegliche Wachstumsraten vor. Es gäbe einen absoluten Stillstand. Verteilungskämpfe von einer bisher unbekannten Brutalität wären die Folge. Deshalb muß unsere Forderung lauten, Wachstum ja, aber so umweltgerecht wie notwendig. Daß das möglich ist, ist mittlerweile hinreichend bewiesen.

Jakob von Uexküll möchte: 1. unsere Gesellschaft umbauen, 2. die Menschen mit der Natur versöhnen, 3. ein ökonomisches System, das wir uns menschlich, ökologisch, sozial und kulturell leisten können, 4. aus der Logik des Geld- und Wachstumszwanges ausbrechen, 5. das Recht eines jeden sicherstellen, an der gesellschaftlichen Entwicklung teilzunehmen, auch wenn er keinen Profit erwirtschaftet.

Diese Forderungen klingen verdächtig nach Friede, Freude, Eierkuchen. Wie sich aber z. B. 80 Millionen Menschen in Deutschland ohne Geldwirtschaft ernähren sollen, darauf bleibt unser Philanthrop eine Antwort schuldig. Um Politik in einer Regierung zu machen, braucht es schon etwas mehr Genauigkeit und die Fähigkeit, die Interessen einer Mehrheit von Wählern zu bündeln und überzeugend umzusetzen. Daß Rot-Grün mit dem letzteren seine Schwierigkeiten hat, sollte uns nicht dazu verleiten, auf die Ratschläge romantisierender Revolutionäre zurückzugreifen. Christoph Nick

Der Autor ist stellvertretender Pressesprecher der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen im Bayerischen Landtag