Der Wunsch zurückzukehren ist groß

Doch die Probleme zu Hause sind noch größer. Mitte Juli laufen die Aufenthaltsbefugnisse für die Kosovo-Flüchtlinge aus. Die meisten wollen zurück, aber erst wenn die Minen geräumt und Notunterkünfte errichtet sind  ■   Aus Berlin Julia Naumann

Gebannt starrt Bujan Bajrani auf den Fernseher. Dort, im Wochenrückblick, sieht er jubelnde Kosovaren in Pritina und Prizren, die die Nato-Truppen begrüßen. Dann Bilder von Flüchtlingen, die mit Traktoren und Autos aus Makedonien und Albanien zurück in das Kosovo strömen. Diese Bilder hat der 28jährige in der vergangenen Woche schon ein paar Mal gesehen, doch sie berühren ihn immer wieder. „Mein Herz öffnet sich, wenn ich das sehe“, sagt er. „Da wäre ich jetzt gerne dabei.“ Doch Bujan Bajrani sitzt am Rande Berlins, weit weg vom Kosovo, in einer Plattenbausiedlung, die als Flüchtlingsheim dient.

Der Maschinenbaustudent ist einer von 330 Flüchtlingen, die Berlin nach Beginn der Bombardierungen aufgenommen hatte. Nach gut zwei Monaten Aufenthalt hat er sich mit seiner 18jährigen Ehefrau Naine in dem Asylbewerberheim eine Art Zuhause aufgebaut: Ein kleiner Tisch mit einem Fernseher darauf, ein Schrank, eine Kommode aus Sperrholz, ein Strauß Plastikrosen.

Seit dem Einmarsch der Nato-Truppen ins Kosovo ist die Sehnsucht zurückzukehren übergroß geworden. „Jetzt, wo wir die Soldaten im Fernsehen sehen, glauben wir daran, daß es gut wird“, läßt er vom Dolmetscher übersetzen. Langsam verschwinde das Mißtrauen der vergangenen zwei Wochen, als die Serben noch mit der Nato in einem Militärzelt an der makedonischen Grenze verhandelten. „Wir glauben jetzt an Frieden“, sagt er.

Doch was ist das für ein Frieden? Wenn die Bajranis morgen zurückkehren würden, wüßten sie nicht, wo sie hin sollten. Ihr Dorf Miloshevo, zehn Kilometer südlich von Pritina, ist völlig zerstört. Eine Geisterstadt. Vor dem Krieg wohnten hier 400 Albaner und 70 Serben. „Jetzt lebt da niemand mehr“, sagt Bujan. Er telefoniert regelmäßig mit einem alten Nachbarn, der in einem Nachbardorf untergekommen ist. „Wenn wir nur ein Dach über dem Kopf hätten“, sagt Bujan und formt mit Nachdruck einen spitzen Gibel mit den Händen, „wenn wir nur ein Dach hätten, dann wären wir schon da.“

Ismet Krasniqi, seine Frau Elfije und seine vier Kinder haben immerhin noch ein Dach in Pritina, doch seine 60-Quadratmeter-Wohnung ist geplündert worden, Fenster und Türen sind zerstört. Das haben seine Eltern erzählt, mit denen er regelmäßig telefoniert. „Wir haben nichts mehr“, sagt der 55jährige, der bei seiner Flucht Anfang April nicht einmal das Nötigste mitnehmen konnte. Auch die Krasniqis möchten eigentlich so schnell wie möglich zurück. Aber gleichzeitig haben sie, wie alle anderen Flüchtlinge in dem Berliner Heim, auch große Angst vor der Rückkehr in das zerstörte Land.

Die Grundversorgung wird jetzt mit den eintreffenden Hilfslieferungen wohl gesichert sein. Aber wieder eine Arbeit finden, die Kinder in die Schule schicken, die Familie langfristig ernähren? Ismet weiß nicht, was er dazu sagen soll. Er war vor dem Krieg im Wasserwerk von Pritina angestellt. Wie alle zentralen Einrichtungen im Kosovo wurde es von Serben geleitet. Er weiß, das das Werk noch steht, doch eine funktionierende Verwaltung gibt es dort nicht mehr.

Wie die meisten anderen Flüchtlinge in dem Heim wünscht sich Izmet, in Deutschland ein paar Monate arbeiten zu dürfen. Nicht um dauerhaft hierzubleiben, wie er gleich betont, sondern um etwas Geld für den Neuanfang in seinem Heimatland zu haben. Die Sozialhilfe können sie nicht sparen, da sie in Wertgutscheinen für Supermärkte ausgezahlt wird. „Ich wollte nie von Sozialhilfe leben“, sagt Krasniqi. Es sei ein Gefühl, als ob man stehlen würde.

Mit der Aufenthaltsbefugnis, die alle 330 Flüchtlinge in Berlin bekommen haben, könnten sie zwar theoretisch arbeiten, doch der bürokratische Weg ist äußerst kompliziert und ohne Sprachkenntnisse gar nicht zu durchschauen. Berlins Innensenator Eckart Werthebach (CDU) will davon ohnehin nichts hören. Kaum war vor zwei Wochen ein Ende der Bombardements in Sicht, sprach er sogleich von einer „konsequenten Rückführung“ der Flüchtlinge. Die Ausländerbeauftrage Barbara John (CDU) will dagegen „Vorbereitungsreisen“ für die Flüchtlinge ermöglichen und kann sich auch ein Starthilfeprogramm vorstellen.

Ob die Aufenthaltsbefugnisse der Flüchtlinge, die Mitte Juli auslaufen, verlängert werden, soll in den nächsten zwei Wochen auf einer Innenministerkonferenz beschlossen werden. Werden sie nicht verlängert, müßten die Flüchtlinge innerhalb eines Monats ausreisen – oder es droht die Abschiebung. Ismet Krasniqi versteht das Wort „Abschiebung“ nicht, es paßt nicht in das Bild, das er von Deutschland hat. „Warum sollten sie uns abschieben, wir wollen doch zurück“, läßt er verständnislos übersetzen.