Letzter Hafen

Ein Fiebertraum: Der New Yorker Melvin Jules Bukiet inszeniert in „Zeichen und Wunder“ das Weltende vor Hamburger Kulisse  ■ Von Frank Keil

Nachdem der jüdische Schriftsteller Melvin Jules Bukiet deutschen Boden betreten hatte, notierte er: „Ich treffe nur kluge, angenehme, gebildete Menschen, die über die Geschichte Bescheid wissen, nichts verdrängen und nichts verharmlosen, und je besser ich behandelt werde, umso schlechter fühle ich mich.“ Mag sein, daß für Bukiets neuen Roman Zeichen und Wunder dieses Erlebnis stilbildend war. Ein Roman, der rechtzeitig zur bevorstehenden Jahrtausendwende eben diese als Folie für eine düstere Post-Holocaust-Satire nutzt. Ort des Geschehens im Dezember 99 ist – und das ist für einen New Yorker Schriftsteller nicht zwingend – unsere schöne Hansestadt.

Bis Bukiets Helden Hamburg erreichen, ist's ein abenteuerlicher Weg. Liegt doch ein seltsames Schiff vor Warnemünde. Ein Gefängnisschiff, in dem Mörder, Totschläger und ein Obersturmbannführer aus Bergen-Belsen dahinvegetieren sowie ein Schweiger namens Ben Alef. Und ein Sturm erhebt sich, läßt das Schiff sinken. Nur Ben Alef und seine elf Zellengenossen retten sich, wandeln unter Alefs Führung über's Wasser, verwandeln Wasser in Wein, heilen Kranke, erwecken Tote. Keine Frage, hier wird ein möglicher Messias auf die Spur gesetzt. Im Schlepptau ein Lokalreporter der FAZ.

Bald campiert die wachsende Anhängerschaft auf dem Sievekingsplatz, der Messias samt seiner Jünger hält dagegen in einem ehemaligen Puff auf St. Pauli Hof; ein Unterweltler übernimmt die mediengerechte Vermarktung. Schnell zählt Hamburg 100.000 Alefiten.

Die Gegenseite macht mobil, den Messias zu enttarnen, an einem Ort namens Wannsee. Der Vertreter des Papstes, des deutschen Kanzlers. Und hat sich nicht Ben Alef die Nummer auf seinem Unterarm in einem schäbigen Tattoo-Shop eintätowieren lassen?

Keine Sorge. Bukiet kalkuliert nicht mit Geschmacklosigkeiten, um den moralischen Schock zu erneuern. Bukiet, Sohn eines Überlebenden der Shoa, ist zugleich mit Leib und Seele Literat. „Die Sonne ging im Osten auf, und die Deutschen brachten die Juden um. Darüber haben sie ständig gesprochen, jeden Tag, morgens, mittags, abends, immer“, beschrieb Bukiet einmal die ihn prägende Atmosphäre seines Elternhauses. Beides schmilzt so zusammen: das Wissen um die Unaufhebbarkeit des Holocaust in der Erzählung wie des Holocausts als ein nie zu bewältigender Stoff.

In diesem Sinne ist Bukiet Pynchon und den amerikanischen Postmodernisten näher als der klassisch-modernen Erzählliteratur eines Primo Levi. Entstanden ist so ein schwer handhabbares Werk: einerseits beste Unterhaltung, andererseits ein Dokument der verzweifelten Sinnsuche der zweiten Generation.

Melvin Jules Bukiet: „Zeichen und Wunder“, aus dem Amerikanischen von Benjamin Schwarz, Luchterhand, 526 Seiten, 48 Mark