Mit Metall, Glas und Wolle in den Flügel

■ Laura Gallati und Christina Thürmer-Rohr spielen heute in der Weiberwirtschaft

„Ich will unsaubere Musik machen“, sagt die Pianistin Laura Gallati. Nur um kurz danach fast erschöpft zu fragen: „Warum kann ich nicht einfach ganz normal Klavier spielen?“ Zwei Sätze, die für unterschiedliche Lebensweisen stehen. Laura Gallati hat sich für die erste entschieden, weil sie Gewohnheiten nicht lange erträgt. Deshalb jedoch muß sie auch immer wieder von vorne beginnen.

Mit unsauberer Musik meint die fast 60jährige Schweizerin solche, bei der Spannungen, Krach, leidenschaftliche Unvereinbarkeiten zu spüren sind. Musik, die in Kontakt tritt, selbst wenn sie vor ein paar hundert Jahren geschrieben wurde. Harmonien, die gegeneinander anstreiten. Tonabfolgen, die Fragen stellen. Akkorde, die wie Rufe und Antworten sind.

Die Musikerin, die nebenbei auch als feministische Parlamentarierin in der Schweiz von 1979 bis 1994 Schlagzeilen machte, kennt jede Holzfaser, jede Saitenwindung ihres Instruments. Sie hat sich früher nicht gescheut, den Klang ihres Flügels dort zu suchen, wo er eigentlich nicht herkommen sollte. Mit einer Selbstverständlichkeit, die nur großen Liebenden erlaubt ist, ist sie in ihn eingedrungen, hat das Instrument mit Metall, Glas oder Wolle gefüllt und dagegen angehämmert.

„Um Musik zu verstehen“, so Laura Gallati, „muß sie gegen den Strich gebürstet und eventuell in ihrer Schönheit zeitweilig gestört werden. Nur so kommt man ihren Geheimnissen auf die Schliche.“ Seelenverwandte findet Laura Gallati bei Komponistinnen wie Galina Ustwolskaya oder Mela Meierhans. Die Monumentalwerke der mittlerweile achtzigjährigen Ustwolskaya sind wie unbehauener Stein. Für die ehemalige Schülerin – später auch Mitkomponistin – von Schostakowitsch, die ihr Leben lang zurückgezogen in Sankt Petersburg gelebt hat, ist Musik ein Dialog mit Gott. Der versteht sie nicht; in ihren Kompositionen fliegen deshalb die Fetzen. Anders Mela Meierhans, die computergenerierte Kompositionen entwickelt. Laura Gallati hat sie dazu angeregt, nur noch Zeitintervalle vorzugeben, innerhalb deren die Interpreten dann frei entscheiden können, was sie spielen.

Seit Laura Gallati in Berlin lebt, arbeitet sie mit der Sozialwissenschaftlerin und TU-Professorin Christina Thürmer-Rohr zusammen, die vor zwanzig Jahren eine der ersten deutschen Frauen-Rockbands – „Außerhalb“ – mitbegründet hat. Thürmer-Rohr, selbst Pianistin, befaßt sich seit geraumer Zeit auf theoretisch-wissenschaftlicher Ebene mit Dialog. Die beiden Frauen haben ihre Ideen zusammengeworfen und realisieren sie mittlerweile in zwei verschiedenen Projekten. Zum einen in einem regelmäßig stattfindenden öffentlichen Diskussionsforum, zum anderen in gemeinsamen Kompositionen. An zwei Flügeln sitzen sie sich gegenüber und werfen sich musikalische Bälle zu. Jede Facette der menschlichen Kommunikation wird musikalisch inszeniert: von grobem Mißverstehen bis zu leidenschaftlicher Liebe. Heute findet eines ihrer seltenen Atelierkonzerte im Rahmen der Unterstützungswoche der Weiberwirtschaft statt.

Waltraud Schwab

21 Uhr, Weiberwirtschaft, Anklamer Str. 38, Mitte