Makel wird Markenzeichen

Fußball verkehrt: Der SC Fortuna 96 Erfurt fährt nur Kanterniederlagen ein und wird als schlechteste Mannschaft der Republik gehandelt, ist aber ungemein beliebt  ■   Aus Erfurt Markus Völker

„Also, ohne überheblich zu sein, wir wollen gewinnen“. Für Manfred Lautenbach, Coach des SV Möbisburg, zählt am letzten Spieltag der 1. Erfurter Stadtklasse nur ein Sieg, „wenigstens mit sieben Toren Differenz“, sagt er. Seine Männer sind zwar von der Dorfkirmes etwas angeschlagen, um die drei Punkte aber muß man sich keine Sorgen machen.

Der Gegner hat bisher immer verloren. Nicht etwa mit 0:1 oder 2:3, der SC Fortuna 96 Erfurt hat es mit kapitalen Niederlagen zu einiger Berühmtheit gebracht. Sport-Bild kürte Fortuna zur „vermutlich schlechtesten Fußballmannschaft Deutschlands“, und die Lokalpresse lästerte über die „Schießbude der Liga“. Fortuna-Schlußmann Stefan Koch (27) kassierte oftmals so viele Gegentore wie ein Handballtorhüter – 2:33 gegen Empor Erfurt, 0:23 gegen Bischleben, 1:21 gegen Moisdorf. Im Durchschnitt holte Koch pro Spiel elfmal den Ball aus dem Netz. Das 1:2 gegen Ingersleben war da schon ein echter Erfolg.

Gegen die „Dörfler“ (Koch) aus Möbisburg hat sich Fortuna viel vorgenommen. Die unglückliche Serie soll ein Ende haben, auch wenn der zweifelhafte Titel damit verlorenginge. Fortuna ist vollzählig. Und das schon lange vor Spielbeginn. „Wir haben heute sogar Auswechselspieler – eine Neuheit“, sagt Mario Floßdorf (28). Er ist der Wortführer der Schwarz-Gelben. Er spielt seit Vereinsgründung vor drei Jahren nicht nur den Schatzmeister und offensiv im Mittelfeld, neuerdings ist er auch Pressesprecher.

Das Spiel. Fortuna schwört sich ein. Coach Kay Oberländer (27) erklärt mit dicken Buntstiften noch mal die Laufwege. Koch sagt: „Glotzt beim Abschlag nicht immer weg und nehmt beim Dribbeln die Köppe hoch.“ Floßdorf ergänzt: „Und nicht dumm rumbolzen, okay.“ Möbisburg rennt an. Koch hält gut. Trotzdem steht es nach sieben Minuten 0:1. Die 15 Zuschauer richten sich auf eine weitere Klatsche ein. Irgendwann ein Schuß von Fortuna. „Wenn Möbisburg ohne Torwart spielen würde, wäre der reingegangen“, ätzt ein Fortuna-Fan. Zur Halbzeit steht es 0:2. „Völlig unverdient“, meint Koch. Trainer Oberländer belobigt seine Jungs. Er hat ein „schönes Spiel“ gesehen. Bei Möbisburg brennt dagegen die Luft. „Jetzt werden die schon unruhig, wenn sie nach 45 Minuten nicht 5:0 vorn liegen“, freut sich Oberländer. In der zweiten Halbzeit ist Möbisburg platt. Fortuna wird frech. Floßdorf schießt ein Tor. Jubel beim Anhang. „Super, Kleiner“, ruft die Mama des Torschützen. Schlußpfiff. 1:3 verloren. Fortuna feiert. Möbisburg schleicht vom Platz. Verkehrte Fußballwelt.

Wie kann das sein? „Antihelden sind in“, erklärt Floßdorf, „man braucht sich nur in der Musikbranche Guildo Horn anzuschaun.“ Wichtiger als Siege sei den Fortunen die gute Stimmung im Team. Floßdorf möchte in keiner Mannschaft spielen, wo man gewinnt, sich aber anbrüllt, wie bei Möbisburg zum Beispiel. Potenziertes Unvermögen mache irgendwann sympathisch, glaubt er. Die Eddy Eagles der Kickerzunft haben den Stolz in der Niederlage entdeckt.

So ausgelassen ging es nicht immer zu. Nach den ersten Debakeln wechselten viele Spieler den Verein. Manchmal stand man nur zu siebt auf dem Rasen. Das hat gerade gereicht, um spielen zu können. Zudem stieg der Liga-Neuling in die falsche Spielklasse ein. Das lag am Thüringer Fußballverband. Der verschluderte die Anmeldung der Erfurter. In der untersten aller Fußballetagen, der 2. Stadtklasse, war kein Platz mehr frei. So bezog der SC in der 1. Stadtklasse Prügel. Durchgehalten hätten nur die „Charakterfesten“ und „mental Starken“, sagt Floßdorf. Und: „Auch bei den Überlebenden war der Schweinehund manchmal riesengroß, aber wir haben uns mit totalem Ehrgeiz und Beharrlichkeit durchgebissen.“ Kein Spiel wurde abgesagt, obwohl eine 0:2-Wertung das Torkonto geschont hätte. Floßdorf: „Eine Absage wäre für uns nie und nimmer in Frage gekommen.“

Fortuna ist glücklich nach dem Saisonfinale. Die Spieler gefallen sich im Glauben, das bekannteste Erfurter Fußballteam zu sein, noch vor Rot-Weiß aus der Regionalliga Nordost; sie rühmen sich der besten Vierer-Abwehrkette der Stadtklasse (es gibt nur eine); Neuzugänge melden sich, und Bekannte klopfen den Fortunen auf die Schulter, weil sie so übel bolzen. Und jeder der Gelb-Schwarzen träumt vom ersten Sieg im regulären Spielbetrieb. Der Makel, der zum Markenzeichen wurde, wäre damit dahin. Auch das Sponsoren- und Medieninteresse. Die Einladung zum MDR-Presseball gäbe es dann nicht mehr und auch nicht das Angebot von Müller-Milch, die Fortuna mit Kefir den Erfolg einschenken wollen. Aber was ist das alles gegen einen Sieg. Einen einzigen, kleinen Sieg.