■ Gerade weil er sich zu sparen traut, ist Eichel ein Glücksfall
: Jammern auf hohem Niveau

Die Sozialdemokraten brechen Wahlversprechen, sie legen eine grausame, ungerechte, den Bürger verunsichernde Streichliste vor, sie wollen uns in die Tasche greifen, die Gerechtigkeitslücke vergrößern, statt sie zu schließen. Die Vorwürfe sind zahlreich, die Empörung ist groß.

Doch es wird auf hohem Niveau gejammert. Geht wirklich der deutsche Sozialstaat unter, wenn die Renten zwei Jahre lang nur in der Höhe der Inflationsrate steigen? Macht es Sinn zu beklagen, daß nun doch weniger Wohltaten verteilt werden als erhofft? Politisch kann und muß man Schröder sicher vorwerfen, den Mund vor der Wahl zu voll genommen zu haben. Würde die Regierung Schröder jetzt allerdings ohne Rücksicht auf die Kassenlage ihr Wunschprogramm durchziehen, käme das einer finanzpolitischen Katastrophe gleich. Die Ausgaben des Staates sind schlicht höher als die Einnahmen. Für die laufenden Kosten kann der Finanzminister keine Kredite aufnehmen. Das wäre so, als würde unsereiner sich für die Miete und die täglichen Brötchen Geld bei der Bank borgen.

Doch so, wie es auch im wirklichen Leben nur für die Couchgarnitur Kredite gibt, kann auch Eichel nur für Investitionen, nicht aber für Arbeitslosengeld oder Renten Mittel leihen. Zurückzahlen kann man ohnehin schon lange nichts mehr. Lediglich Zinsen, und die belasten den Haushalt derart, daß der politische Gestaltungsspielraum gegen Null tendiert. Kurzum: Die Haushaltslage ist nicht nur klamm, sie ist dramatisch.

Die CDU hat sich stets mit Privatisierungen beholfen. Mangels Masse ist das nun nicht mehr möglich. Deshalb ist die Berufung Hans Eichels für Rot-Grün ein Glücksfall. Denn Eichel ist fest entschlossen, den Bundeshaushalt zu sanieren, um so wieder politischen Gestaltungsspielraum zu schaffen. Sein Vorgänger, der nachfrageorientierte Oskar Lafontaine, hatte sich vor seinem politischen Ableben angeschickt, Mittel zu verteilen, die er gar nicht hatte; in der Hoffnung, daß Menschen mit mehr Geld in der Tasche mehr ausgeben, dadurch die Wirtschaft stimulieren und schlußendlich all dies zu den fehlenden Steuereinnahmen führt.

Eichel hingegen teilt den unter Sozialdemokraten verbreiteten Glauben an die wundersame Geldvermehrung nicht. Gelingt es dem Finanzminister, die Staatsfinanzen zu sanieren, könnte sich die Sozialdemokratie erstmals den Ruf erwerben, mit Geld umgehen zu können. Silke Mertins