Serbiens Opposition meldet sich zu Wort

■ Mehrere Parteien fordern schnelle Neuwahlen. Auch Ultranationalist Vojislaw Seselj sieht seine Chancen steigen. Opposionsbündnis kündigt für diese Woche Proteste an

Großbritanniens Premierminister Tony Blair und US-Präsident Bill Clinton sind sich wieder einmal einig: Jugoslawiens Präsident Slobodan Miloevic muß weg. Serbien könne seinen Platz im Kreise zivilisierter Nationen nicht finden, solange es von einem gesuchten Kriegsverbrecher regiert werde, sagte Blair am Wochenende beim G-8-Gipfel in Köln und legte den Serben unmißverständlich die Absetzung Miloevic' nahe. Am Montag rief Clinton bei seinem Besuch in der slowenischen Hauptstadt Ljubljana die Serben ebenfalls zum Sturz des jugoslawischen Präsidenten auf.

Dabei übersehen beide einen wichtigen Punkt: Sollte es den Serben tatsächlich gelingen, sich Miloevic' zu entledigen, muß dessen Nachfolger nicht unbedingt ein Verfechter demokratischer Reformen sein. Im Gegenteil: Mit Vojislaw eelj, dem Vorsitzenden der Serbischen Radikalen Partei (SRS), schielt jetzt ein Mann nach der Macht, der aufgrund seiner Großserbienphantasien und seines extremen Nationalismus Miloevic noch weit rechts überholt.

Zwar ist die Zustimmung der Serben zur SRS laut jüngsten Umfragen von 15 auf 10 Prozent gefallen. Dennoch kann eelj, der sich aus Protest gegen den Friedenschluß im Kosovo aus der Regierung zurückzog, jetzt auf die Unterstützung zahlreicher enttäuschter und antiwestlich eingestellter Miloevic-Anhänger hoffen. Überdies wird ihm die Fähigkeit zu effektiver Mobilisierung der Bevölkerung nachgesagt.

Vor diesem Hintergrund ist es verständlich, daß der Ultranationalist, dessen Partei mit 82 von 250 Sitzen zweitstärkste Kraft im Belgrader Parlament ist, auf Neuwahlen drängt. Diese sollten so schnell wie möglich abgehalten werden, forderte eelj in der vergangenen Woche und: „Die Menschen sollen jetzt entscheiden, ob sie Veränderungen wollen.“

Die Forderung nach schnellen Neuwahlen haben sich auch die anderen Oppositionsparteien zu eigen gemacht. Während der Nato-Angriffe auf Jugoslawien waren sie still, doch jetzt scheint sich bei den reformorientierten Kräften die Erkenntnis durchgesetzt zu haben, daß sie ihre Lethargie aufgeben und sich auf eine gemeinsame Linie verständigen müssen.

Am Montag kündigten die Allianz für Veränderungen und die Sozialdemokraten noch für diese Woche Protestkundgebungen an. „Die ist die letzte Chance, den politischen Kurs in Serbien umzukehren und diejenigen zur Verantwortung zu ziehen, die in den vergangenen zehn Jahren eine unbegrenzte Macht ausgeübt haben“, sagt Milan Protic, ein Vertreter der Allianz. Zentrum der Proteste soll unter anderem auch die Stadt Cacak sein, dessen Bürgermeister während der Nato-Angriffe Proteste gegen die serbische Regierung organisiert hatte. Überdies haben die Parteien angedroht, sich fortan nicht mehr an das Kriegsrecht zu halten. Dieses schränkt die Meinungs-, Versammlungs- und Bewegungsfreiheit erheblich ein. Zwar hat die jugoslawische Bundesregierung einen formalen Beschluß des Parlaments zur Aufhebung des Kriegsrechts angekündigt. Doch daß es die beiden Kammern angesichts der Mehrheitsverhältnisse mit der Aufhebung eilig haben, ist eher unwahrscheinlich. Barbara Oertel