Kommentar
: Jeder gegen jeden

■ Die rot-grüne Koalition macht sich selbst kaputt

Es klingt wie eine enorme Anmaßung, beinahe ein Verfall politischer Kultur: Die Stromkonzerne verlangen in den Atomverhandlungen vom Kanzler, seinem Umweltminister die alleinige Kompetenz für die nukleare Sicherheit zu entziehen. Das ist natürlich unerhört, für diese Forderung haben die Wirtschaftsverbände kein Mandat: Über die Art der Ausübung der Regierungsgeschäfte haben andere zu entscheiden.

Doch das Ärgernis sind nicht die Stromkonzerne. Das Ärgernis ist ein Kanzler, der zu solchen Anmaßungen geradezu einlädt. Schließlich tut er selbst sein möglichstes, die Autorität des Umweltministeriums und damit der eigenen Regierung zu untergraben. Kein Regierungsknatsch, der nicht öffentlich ausgetragen wird, keine Nachricht zu brisant, als daß sie nicht hinter vorgehaltener Hand ausgeplaudert würde. So dringt natürlich auch des Kanzlers Wutausbruch über Trittin nach draußen, nachdem der – angeblich ohne Absprache – in einem Brief an seine EU-Amtskollegen die Altautoverordnung akzeptierte. Beinahe, so hört man, wäre Trittin gefeuert worden.

Zuweilen kann man sich dem Eindruck nicht entziehen, daß Rot-Grün nur ein gemeinsames Ziel hat: den jeweils anderen fertigzumachen. Nachdem der Kanzler darin schon Routine hat, wollen nun die Grünen nicht mehr nachstehen. Arbeitsminister Walter Riester (SPD) war das geeignete Opfer, um sich bei der Zwangsrente mal endlich auf Kosten der SPD profilieren zu können. Dabei standen Riesters Vorschläge denen der Grünen eigentlich näher als erwartet.

Klar, daß nun wieder die SPD dran war. Und wenn nichts so richtig läuft, dann gibt's ja immer noch Trittin. Man muß von seiner Performance als Minister nicht überzeugt sein, um zuweilen Mitleid zu empfinden. Diesmal wird ihm einfach eine Voreinigung im Atomstreit vor den Latz geknallt: Wirtschaftsministerium und Stromkonzerne peilen einfach mal 35 Jahre Ausstiegszeit an. Man stelle sich vor, Trittin hätte Vergleichbares am Wirtschaftsminister vorbei ausgehandelt.

Die andauernden Demoralisierungen haben den Grünen inzwischen jeden Spielraum geraubt. Wenn sie auch beim Atomausstieg kein richtiges Zeichen setzen dürfen, können sie ihren Verbleib in der Koalition kaum noch rechtfertigen. Die Koalition macht sich selbst kaputt. Matthias Urbach