Mit der Geschichte ins Reine

■ Abenteuer Essayfilm: die sehr privaten Arbeiten „One Of Us“ und „Morgen und immer wieder Morgen“ im Metropolis

Ein Leben aus dem Fotoalbum: Susan Korda zeigt sich und der Kamera Bilder ihrer Familie. Auf den ersten Blick der übliche durcharrangierte Plüsch aus Liebreiz und Anekdotenreich. Doch für die Regisseurin und Hauptdarstellerin Korda besitzen diese Fotos kaum nostalgisches Fluchtpotential als die Option, sich innerhalb der eigenen Biografie artikulieren zu können. Die Mittdreißigerin berichtet in ihrer Lebensstudie One of Us von zwischenmenschlichen Abgründen, fehlgeschlagenen Schuldzuweisungen und dem persönlichen Drang, darüberhinaus weitermachen zu können.

Das Metropolis-Kino zeigt in seiner Reihe „Abenteuer Essayfilm“ diesen und nächsten Monat sehr persönliche Werke, die vom Ich ihrer MacherInnen erzählen und von ihren Versuchen, an eine Form von Extrovertiertheit anzudocken. „Ich mache diesen Film, um mit der Außenwelt Kontakt aufzunehmen, mit etwas anderem als mit meiner Angst“, sagt Dominique Cabrera zu Beginn ihrer knapp 80minütigen Bestandsaufnahme Morgen und wieder morgen von 1995. Darin entzieht sich die Regisseurin dem Stadium ihrer eigenen Pathologisierung als krankhafte Bulimikerin und sozialgehemmte Mutter und Tochter, indem sie sich im Stil eines Tagebuchs als langsam wieder entfaltende Autorin porträtiert und erzählerisch neu erschafft. Kleine Geschichten von der Umschulung des Sohnes und die zaghafte Liason mit einem französischen Politiker beschreiben eine Art der Lebensbewältigung, in der Therapie und essayistische Artikulationsweisen ineinander übergehen.

Am Ende von One Of Us beschreibt Susan Korda ebenfalls, wie sie mit ihrer Vergangenheit leben kann. Viele ihrer jüdischen Verwandten sind im Holocaust ermordet worden. Doch das ist nicht das eigentliche Drama. Die Filmemacherin sucht nicht im Motiv-Koloß namens „Nazi-Deutschland“ nach Antworten auf ihre zerrüttete Biografie, sondern in einem Meer aus innerfamiliärer Sprachlosigkeit und Verweigerung. Die Mutter ist tot, und ihren Vater porträtiert Korda als einen gealterten Mann, der die Vergangenheit ruhen läßt und innerhalb seiner zweiten Ehe ein Glück mit Vorgartenidylle lebt. Seinen Versuch, nach den Erfahrungen im Konzentrationslager den Kindern eine grausame „Härte zu sich selbst“ anzuerziehen, hat den Bruder zum kindheitslangen Prügler seiner Schwester deformiert. Daß sich diese pädagogische Konditionierung letztlich nur gegen seine Anwender selbst gerichtet hat, können sich weder Vater noch der inzwischen chronisch erkrankte Sohn eingestehen.

Ausweg aus diesem Tal sprachlicher Unmöglichkeit bietet für die Regisseurin nur das Familienstigma, die behindert geborene Dolores, die gleich nach ihrer Geburt in fremde Hände gegeben wurde. Nach über 30 Jahren dokumentiert Susan Korda ihre erste Kontaktaufnahme zu Dolores als den zaghaften Versuch, mit sich und ihrer eigenen Geschichte ins Reine zu kommen – Vergebung und Leben einander anzunähern.

Oliver Rohlf

„One Of Us“: Mi, 30. Juni, 21.15 Uhr. „Morgen und immer wieder morgen“: 22. Juli, 21.15 Uhr, Metropolis