Meditativer Minimalismus

Faszinierende Fremdheit bei der „Hammoniale“: Ea Solas „Voilà voilà“, Schlußstück einer Trilogie, verzauberte auf Kampnagel  ■ Von Karin Liebe

Sie kommen! Bedrohlich schwellen die großen Trommeln wie Hubschraubergeknatter an. Dazu sinken die sieben vietnamesischen Tänzerinnen im Zeitlupentempo zu Boden. Filmszenen aus Apocalypse now mit bombenwerfenden amerikanischen Piloten drängen sich auf. Doch das ist auch der einzige Anflug von Pathos, den sich die vietnamesische Choregraphin Ea Sola im letzen Teil ihrer Trilogie über Tradition und Moderne in ihrem kriegstraumatisierten Heimatland erlaubt.

Ansonsten regiert Voilà voilà ein meditativer Minimalismus – wie schon Sécheresse et pluie (Trockenheit und Regen) und Il à été une fois (es ist einmal gewesen). Ganz still fängt es an. Eine alte Frau betritt im langen Gewand die Bühne. In langsamen, fließenden Bewegungen, die westliche Augen an Tai Chi oder Chi Gong erinnern, durchschreitet sie den Raum, summt erst leise dazu, singt dann eine klagende Melodie. Zwischen langen Stoffbahnen mit geometrischen Mustern, die von der Decke herabhängen, kommen sechs weitere Tänzerinnen mit unbewegten Gesichtern auf die Kampnagel-Bühne.

Alle tragen eine Art Mönchskutte und verstecken ihr Haar unter einem kreisrunden Hut. Bis auch die acht Musiker – lauter Männer – links und rechts am Bühnenrand Platz genommen haben. Ea Sola läßt sich Zeit und erwartet auch vom Zuschauer viel Geduld. Dafür ist die Ernte nach einer anfänglichen Durststrecke um so reicher. Auch ohne detailliertes Hintergrundwissen über die Traditionen Vietnams kann man sich von der meditativen Musik und den weichen Bewegungen bezaubern lassen. Informationen über Tuong-Oper und Ca-Trù-Gesang gibt das Programmheft, doch der fremdartige Klang der Percussion-Instrumente, der Flöten und Drehleiern ist faszinierend genug. Anfangs im Traditionellen verhaftet, ändert sich kaum merklich die Stimmung – ganz so, wie Neues oft auch ohne deutliche Brüche entsteht.

Nach und nach werden die Stoffbahnen hochgezogen. Der Raum öffnet sich für neue Strukturen. Was folgt, ist ein Wechselspiel aus Tradition und Moderne, aus Zusammenspiel der Gruppe und individuellem Ausdruck. Ein Cello erklingt, ohne die anderen Instrumente zum Schweigen zu bringen. Die Frauen tragen jetzt bunte Blusen und das Haar in individuellen Frisuren. Freier und lockerer wird der Gestus, bis plötzlich alle zu lachen anfangen und zu sprechen beginnen.

Jetzt mischen sich Männer und Frauen, die festgefrorene Mimik bricht auf. Auch ohne ein Wort Vietnamesisch zu können, ist ihr Lachen und Streiten verständlich. So schließt sich der Kreis von Ea Solas Tanz-Trilogie um Tradition und Moderne – oder genauer gesagt, er öffnet sich: hin zum Allgemein-Menschlichen. Ein versöhnlicher Ausblick.