Windel- oder Machtfrage

■ 53 Jahre „Bremer Frauenausschuß“: Historische Fotos von rüstigen 60jährigen Damen mit Hütchen und Idealen werden am Samstag im Waller Kulturzentrum „Brodelpott“ entrollt

Kaum ein Mensch wagte es, unter dem strengen, wachhabenden Auge von Oma Fischer am Weinglas zu nippen. Allenfalls der Onkel durfte ausnahmsweise. Schließlich mußten die Frauen etwas tun gegen eine Welt, in der die Männer – zumindestens die der gebeutelten unteren Schicht – ihren Lohn noch am Zahltag versoffen, im alkoholisierten Zustand ihre Kinder verprügelten oder schlimmerenfalls – oder ist es gar die bessere, da finale Art zu fallen? – vom Baugerüst stürzten: Antialkoholismus als praktizierter Feminismus. Und als Klassen- oder zumindest als Überlebenskampf: „Wir brauchen klare Köpfe für den Wiederaufbau.“ Und als – ein wenig spießig-überrational – Beitrag zur Lösung des Ernährungsproblems: „Durch Bierbrauen geht wertvolles Brotgetreide verloren.“

Einen handfesten Vorteil hatte das sozialpolitische Engagement von Oma Fischer für die Enkelin sogar auch: Von ihren Reisen zu Ablegern der „Abstinenzbewegung“ in Indien oder England brachte die studierte Anglistin, Nebenerwerbsjournalistin, ehemalige Lehrerin und Durchsetzungsmeisterin mal einen Kimono, mal eine Pfauenfeder mit: ein Schwarm von Kindheitserinnerungen. Sie schmunzeln im Gedächtnis von Cecilie Eckler-von Gleich. Die ist jetzt auch schon über 40 und irgendwie auch auf die sozialpolitische Schiene geraten. Die Politologin leitet die rührige Geschichtswerkstatt des Waller Kulturzentrums „Brodelpott“.

Oma Fischer war ab 1921 Chefin des „Bremer Frauenbundes für alkoholfreie Kultur“ (und trotzdem bestreiten heute immer noch viele Menschen, daß Kultur ohne Alkohol möglich ist). Der führte in Bremen etwa 15 „alkoholfreie Gaststätten“. Die letzte (das heutige Ambiente, hihi) schloß in den 70ern. Weil Oma Fischer auch dem „Bremer Frauenausschuß“, dem Dachverband der hiesigen Frauenvereine, angehörte, lag es nahe, daß bei dessen 50jährigem irgendwer anklopfte: Mensch, mach du doch unsere Jubiläumsausstellung. Das ist mittlerweile drei Jahre her. Weil aber erstens die Ausstellung satte 20.000 Mark gekostet hat, zweitens noch fettere Haufen Restexemplare des schönen Katalogs in Kartons vor sich hinschlummern, drittens gerade eine andere historische Ausstellung im Rathaus für die Nachkriegszeit zu interessieren versucht, viertens die göttlichen neuen Räume des Brodelpotts (wir sagen nur: gelb-grau gerautete Bodenfliesen, geschwungene Küchentheke, neugotische Bogenfenster und malerisch versiffter Garten) genutzt werden wollen und fünftens die Sache mit den runden Jubiläen sowieso Mumpitz ist, wird man ab Samstag die Ausstellung wiedersehen können. Die Berge von verkruselten, zusammengerollten Papier- und Stoffbahnen mit Text und Bild werden gerade noch hartnäckigen Glättungsanstrengungen unterzogen. Am 16. März 1946 druckte der Weser-Kurier das Programm der fünf Ausschußgründerinnen ab. Sehr selbstbewußt, sehr politisch klang es mit den Worten Richard Dehmels: „O Völker, dürften doch endlich Frauenhände Euch lenken helfen.“ Durften natürlich nicht. Denn bei 60.000 Obdachlosen und Strömen oriertierungsloser Flüchtlinge gab es nach dem Krieg sehr viel Akuteres als die Machtfrage. Zum Beispiel die Windelfrage. Und die wurde nach heftigem Briefverkehr mit den Besatzungsmächten ganz pragmatisch (damalige Terminologie: patent) gelöst durch die Hinzuziehung von Sackleinen und Handtüchern (vermutlich ist das rauhe Zeug Schuld an den Neurosen der Bremer Nachkriegsgeneration). Über alle Parteigrenzen hinweg bis hin zur KPD (das waren noch tolerantere Zeiten) beschäftigte man sich mit dem Problem minderjähriger Prostituierter, mangelhafter Wohnmöglichkeiten für Alleinstehende oder Wickelkursen.

Eckler-von Gleich bewundert diese Frauen, weil sie sich nicht nur in Habermas' herrschaftsfreien Diskursen verstrickten, sondern wacker hinlangten. Heute dagegen .... Erst als es um den § 218 und um die Wiederaufrüstung ging, zerfaserte dieser Aktivismus in Richtungsstreitereien ,und die Frauenbewegung mündete ein in die herrschende Debattenkultur. bk

Schleswiger Str. 4, Vernissage, Samstag, 26.6. 12 h, bis 10.7.