Ein Grenzgänger am Rand der Stadt

■ Der neue Stadtschreiber, der Kreuzberger Schriftsteller Arne Roß, will „Stadtrandschreiber“ sein

Arne Roß hangelt sich gerne am Rand entlang. Am Rand von Städten. Dort, wo andere Angst haben, herauszufallen aus dem Zentrum, liegt für ihn der Reiz des Unbekannten. Deshalb hat sich der Kreuzberger Schriftsteller um das Amt des Stadtschreibers in Hellersdorf beworben, in das er gestern abend offiziell eingeführt wurde. Doch weil Hellersdorf nicht das Zentrum der Stadt ist, nennt sich der 32jährige lieber „Stadtrandschreiber“. Ganz so, als wäre der Name Programm, will er in der Dreizimmerneubauwohnung, die ihm die Wohnungsbaugesellschaft Hellersdorf für ein Jahr mietfrei überläßt, Stadtpläne von Vorstädten aufhängen, in denen er gelebt hat: Norderstedt bei Hamburg, ein Vorort von Paris und eine Retortenstadt bei Tokio. Und nun Hellersdorf.

Auf ganz unbekanntes Terrain begibt sich Arne Roß nicht. Vor acht Jahren war er zum ersten Mal in Hellersdorf. „Der erste Eindruck war nicht schlecht“, erinnert er sich, „doch schön wäre übertrieben.“ Er will erfahren, „wie es sich dort verhält zur Mitte der Stadt“. Er dachte zwar immer, das sei ein „langweiliges und spießiges Thema“, über das man nicht schreiben könne. Aber die „poetischen Gegenden“, die er zu finden hofft, wird er bestimmt entdecken. Denn Roß hat keine Berührungsängste, und er will zudem kein Arbeitsverhältnis von fünf Tagen Hellersdorf und samstags und sonntags Halligalli in Kreuzberg. „Wenn die Gegend zur Heimat werden soll, will ich auch an Wochenenden da sein“, sagt er. Dafür ist er sogar bereit, auf seine geliebten Cafébesuche zu verzichten. „Ich kann mir ein Jahr Häuslichkeit gut vorstellen“, sagt er.

Für den gebürtigen Hamburger, der im vergangenen Jahr ein Referendariat als Lehrer für Deutsch und Geschichte abgeschlossen hat und seitdem als freier Schriftsteller lebt, ist das Stadtschreiberamt nicht nur finanziell reizvoll. Er freut sich, ein Jahr „für sich“ zu sein und schreiben zu können. Er freut sich auch auf den „Zwang“, mit Lesungen und einer Schreibwerkstatt die eigenen vier Wände verlassen zu müssen. Roß, von dem vor wenigen Monaten das Buch „Frau Arlette“ erschienen ist – eine Liebesgeschichte zwischen einer blinden alten Dame und einem bedeutend jüngeren Mann –, hat zwar „ein bißchen Angst davor“. Doch er weiß: „Es wird mir persönlich sehr guttun.“

Ideen hat er schon einige. Einen Workshop für Senioren und Lesungen mit unbekannten Autoren. Vielleicht schreibt er ja auch eine Liebesgeschichte von jemanden, der in einer kleinen Siedlung wie Mahlsdorf oder Kaulsdorf lebt und mit jemanden aus Hellersdorf zusammen ist. Und dann hofft Roß, Dinge zu sehen, die die Hellersdorfer nicht oder nicht mehr sehen.

Schnell merkt man, daß Roß offen ist für Hellersdorf und sich den Blick nicht trüben läßt von den Klischees von Plattenneubauten und rechten Jugendlichen. „Wenn es zu Konflikten kommt, muß ich mich stellen“, sagt er lapidar. B. Bollwahn de Paez Casanova