Verbissen wie die junge Steffi

War Hingis so schlecht – oder ist ihre Bezwingerin Jelena Dokic so gut? Mit ihr und Lleyton Hewitt hat Australien neben Rafter zwei riesige Tennistalente  ■   Von Matti Lieske

Wimbledon (taz) – Wenn Jelena Dokic heute zu ihrem Zweitrundenmatch gegen die Slowakin Katarina Studenikova antritt, hat Vater Damir eigentlich keinen Grund mehr auszurasten. Seine Tochter hat ihre Schuldigkeit bei diesem Wimbledonturnier mit dem 6:2, 6:0 gegen die Weltranglistenerste Martina Hingis bereits getan. „Er war sprachlos“, beschrieb die 16jährige Australierin die Reaktion ihres Vaters auf eine der größten Sensationen der Turniergeschichte.

Sprachlos ist der schwarzbärtige Damir Dokic selten. Als Tochter Jelena vor zwei Wochen beim Turnier in Birmingham gegen die Italienerin Rita Grande knapp verlor, beschimpfte der 40jährige solange Zuschauer und Offizielle, bis er abgeführt wurde. Danach legte er sich aus Protest auf eine verkehrsreiche Straße und wurde kurzzeitig von der Polizei festgenommen. „Dabei hat er mich bloß angefeuert“, sagte Jelena Dokic.

Beim nächsten Vorfall droht dem Tennisvater eine Platzsperre für alle Turniere. In Wimbledon könnte er auf diese Weise gut einen kleinen Siegeszug seiner Tochter verpassen. Bei ihrem großartigen Match gegen Hingis erinnerte die in Belgrad geborene Spielerin, deren Eltern vor sechs Jahren nach Australien auswanderten, deutlich an die spektakulären frühen Auftritte einer Steffi Graf oder Monica Seles. Dieselbe Konzentration, dieselbe Energie, dieselbe Verbissenheit, dieselbe Entschlossenheit, jeden Ball mit aller Wucht, die aus dem schmächtigen Körper herauszuholen ist, in die Ecken des Platzes zu donnern.

Diesmal habe sie eine Strategie gehabt, sagte Jelena Dokic, die Hingis noch bei den Australian Open glatt unterlegen war. Welche? „Hit winners, no errors“, erklärte sie mit schelmischen Grinsen. Geholfen habe ihr, daß sie in Wimbledon als 129. der Weltrangliste die Qualifikation bestreiten mußte, eigentlich Zeichen für ein bislang mißratenes Jahr. Anfang 1998 gewann Dokic mit Mark Philippoussis im australischen Perth als 15jährige den Hopman-Cup. Dennoch gab es kaum gute Resultate auf der Tour, was ihrer Meinung nach auch daran liegt, daß sie altersbedingt nur 14 Turniere inklusive Grand Slams, spielen darf. „Da ist jedes ein ganz großes für mich.“ Ihre Karriere weist Parallelen auf zu der des anderen australischen Tenniswunders, Lleyton Hewitt (18), der sein Wimbledon-Debüt gegen Marcelo Filippini beim 6:2, 6:2, 6:1 mit Bravour absolvierte.

Nachdem Hewitt als 16jähriger das Turnier in seiner Heimatstadt Adelaide gewonnen hatte, brach in Australien etwas aus, das man getrost mit der deutschen Beckermanie vor vierzehn Jahren vergleichen kann. Lange Zeit waren die Australier, die noch in den 60er Jahren mit Leuten wie Margaret Court, Evonne Goolagong, Rod Laver, John Newcombe, Tony Roche, Ken Rosewall, Roy Emerson das Welttennis beherrscht hatten, abgesehen vom kurzen Intermezzo des Pat Cash, in der Versenkung verschwunden. Nun haben sie mit Patrick Rafter nicht nur einen heißen Aspiranten auf die Nummmer eins, sondern mit Dokic und Hewitt gleich zwei Talente, die zu allergrößten Hoffnungen Anlaß geben. Maßgeblich beteiligt am Aufschwung sind die alten Stars. John Newcombe betreibt Tennisschulen in Australien und Texas und ist Kapitän des Davis-Cup-Teams, zu dem die jungen Nachwuchsspieler als Trainingspartner eingeladen werden. Gemeinsam mit Davis-Cup-Coach Tony Roche arbeitete „Newk“ intensiv an Hewitts Spiel, als dieser nach Adelaide erst mal in ein Formtief gefallen war. Inzwischen ist der begeisterte Surfer und Aussie-Rules-Footballspieler – sein Vater Glynn war Nationalspieler in dieser Sportart – auf Rang 35 der Weltrangliste vorgerückt und ist darüber immer noch ganz baff. „Andere 18jährige wünschen sich Autogramme von Rafter, Agassi oder Sampras, und ich trainiere mit ihnen und spiele gegen sie.“ Immer besser, muß man sagen, und sollte Hewitt die zweite Runde gegen den Marokkaner Alami überstehen, darf man gespannt sein, wie sich in Runde 3 Boris Becker oder Nicolas Kiefer gegen den in seiner Statur an den jungen Agassi oder Chang erinnernden Australier aus der Affäre ziehen.

Das größere Augenmerk gilt zunächst einmal jedoch Jelena Dokic, die zu Hause mit Wally Masur trainiert. „Daß ich gegen Hingis gewonnen habe, heißt nicht, daß ich das Turnier gewinne“, wiegelt diese ab. Wenn sie so spiele wie gegen die Schweizerin, hält Patrick Rafter dagegen, „gibt es keinen Grund, warum sie nicht durchmarschieren soll.“