■ Die Kompetenz gegenüber den neuen Medien macht die Kinder der 68er zu Trägern eines kulturellen und gesellschaftlichen Wandels
: Masse + Medien = Generationskonflikt

Zu den Passepartouts, mit denen in Folge der 68er in regelmäßigen Abständen immer neue Alterskohorten wie 78er oder 89er zu Generationen erklärt werden sollen, hat sich die „Generation Berlin“ gesellt. Auf die Frage nach den wirklichen Existenzchancen einer neuen Generation in einer neuen Republik antwortete Jürgen Habermas in einem Zeit-Interview: „Mein Freund Herbert Marcuse [...] hätte zu den kursierenden Schnittmustern für eine ,Generation Berlin‘ nur ,Kacke mit Lakritze‘ gesagt.

Eine neue Generation oder eine neue Kultur kann man schlecht ankündigen. Man ist eine Generation, indem man etwas Neues hervorbringt.“ Diese Feststellung verweist einerseits auf den Kern des von Karl Mannheim entworfenen Generationskonzepts, macht aber andererseits auch auf die Problematik einer oft unvollständigen Anwendung in öffentlichen wie in wissenschaftlichen Diskursen aufmerksam.

Beim Aufspüren und Definieren neuer Generationstypen wird fast immer die „gemeinsame Lagerung“ beschrieben und das „Identisch-Bestimmtsein“ beschworen. Oft wird auch die Bildung des kollektiven Generationsstils und -zusammenhangs festgestellt, aber fast nie wird dabei präzise der Faktor benannt, der die Gleichaltrigen zu Gleichartigen macht: Nämlich kollektiv einen „neuen Zugang“ zum „akkumulierten Kulturgut“ zu entwickeln.

Generationen sind Latenzphänomene. Der Möglichkeitsrahmen eines gemeinsamen Aufwachsens zur gleichen Zeit am gleichen Ort bringt nicht automatisch eine Generation hervor. Bedeutende historische Brüche, kultureller Wandel oder technologische Innovationen trennen ebenso wie sie verbinden und treffen gleichzeitig alle Altersgruppen. Dies bringt „chronologisch gegeneinander versetzte Muster der Weltwahrnehmung“ hervor, die um Anerkennung konkurrieren. Diese Gleichzeitigkeit des Ungleichzeitigen versetzt vor allem Jugendliche in die Situation, das, was von Älteren als Wandel problematisiert wird, als Normalität zu interpretieren.

Diese kollektive Problemwahrnehmung – nicht etwa eine uniforme Lösungsstrategie – stellt das verbindende Element einer Generation dar, ermöglicht die Entwicklung neuer Zugänge, beinhaltet aber auch die Option, eigene Sichtweisen für nachfolgende Alterskohorten verbindlich zu machen. Vor allem den 68ern ist es gelungen, den eigenen Stil zu einem Gütesiegel für die Anerkennung nachfolgender Altersgruppen als Generation zu erheben. Wer seinen Protest nicht artikuliert wie sie, wer sich politisch nicht engagiert wie sie oder wer nicht zumindest seinen Lebensstil als politischen Akt mystifiziert, wie sie es taten, fällt durch die Qualitätskontrolle des Generationen-TÜVs.

Generationswechsel kommen aber nicht nur aufgrund des Innovationsdrucks der Nachdrängenden zustande, sondern auch wenn die alten Generationen „abgewirtschaftet“ und dem nichts mehr entgegenzusetzen haben. So wurde beispielsweise nach dem Debakel bei der Fußball-WM in Frankreich der längst überfällige Generationswechsel in der Nationalmannschaft gefordert, bei der anschließenden Bundestagswahl wurde dann gleich die gesamte Regierungsmannschaft durch 68er ausgewechselt, doch scheinen diese, am Gipfel der politischen Macht angelangt, endgültig ihre Innovations- und Problemlösungskompetenz verloren zu haben.

Die Arena ist also wieder einmal frei für die nachrückenden Alterskohorten oder muß noch etwas freigeräumt werden, weil privilegierte Positionen in der Regel nicht kampflos verlassen werden? Bleibt nur die Frage, von wo die neue Generation anrücken wird, welche neuen Zugänge sie erschließt, wo dabei Konflikte entstehen oder ob gar ein „Krieg“ als Ausdruck eines Generationswechsels ausbrechen wird. Zu vermuten ist nur, daß man nicht da suchen sollte, wo etablierte Generationen bereits erfolgreich waren.

Innovative Kräfte wirken heute sicher nicht in einer literarischen oder politisch-ideologischen Bewegung, und ein eigenständiges Generationsbewußtsein wird nicht von Zwischengenerationen wie 78ern, 89ern oder der Generation X ausgebildet, die vielleicht ein letztes Mal das zornige Lied des marginalisierten Jungmenschen mit elektrischen Gitarren verstärkte. Momentan zeichnet sich vor allem bei der Aneignung digitaler und interaktiver Medien ein Informations-, Wissens- und Handlungsvorsprung ab, der durch den privilegierten Zugriff von Jugendlichen auf diese Schlüsseltechnologien begünstigt wird und sich in der Informationsverteilung unter den Altersgruppen fortsetzt.

Der Abstand zwischen information rich und information poor entspricht einem „knowledge gap“ zwischen den Generationen, der die Älteren zunehmend zwingt, von den Jüngeren zu lernen. Diese Schubumkehr des Wissenstransfers ist ein gutes Kriterium für die Etablierung neuer Zugänge. Der US-amerikanische Netzexperte Don Tapscott sieht daher die beiden zahlenmäßig größten Generationen der Gegenwart auf Kollisionskurs. Die Formel, auf die er diese brisante Konstellation bringt, lautet: Masse + Medien = Generationskonflikt. Da sich bei den Kindern der 68er die demographische Stärke ihrer Jahrgänge und die Kompetenz im Umgang mit digitalen Medien verbinden, werden sie zum Träger eines kulturellen und gesellschaftlichen Wandels, der die Eltern quasi durch ihr eigenes Generationsecho hinwegfegen wird.

Die „Netz-Kids“ von heute sind die aktivste und bestinformierte Generation aller Zeiten. Sie wächst in einer über digitale und interaktive Medien vermittelten Kultur auf, in der „channel surfing“, das schnelle Springen von einem Angebot zum anderen, zur grundlegenden kulturellen Praxis geworden ist, mit der sie sich große Teile ihres Wissens erschließt. Bei der Bewältigung der Quantität und Komplexität von Information ist weniger die schrumpfende Konzentrationsfähigkeit der Jugendlichen zu beklagen, als vielmehr die Haltung hervorzuheben, mit der sich auch in einer nonlinearen High-Tech-Kultur verbindliche Orientierungsmuster herstellen lassen, die einem Skater, Snowboarder oder Surfer näherstehen als dem Bildungsbürger im Universum seiner Buchkultur. Entscheidend ist dabei die Fähigkeit, das Gemeinsame im Verschiedenen zu erkennen, diejenigen Muster auf dem Beton der Straße, im Schnee, auf dem Meer oder in den neuen Medien wahrzunehmen, die eine Fortbewegung auf den digitalen Datenströmen ermöglichen. Der neue Zugang besteht darin, Kontinuität aus Kontingenz zu generieren, was mehr als die qualitative Bewertung konkurrierender Inhalte bedeutet, sondern die Frage nach der Definitionsmacht über das in Zukunft gesellschaftlich relevante Wissen stellt. Eike Hebecker

Die „Netz-Kids“ sind die bestinformierte und aktivste Generation aller ZeitenDie neuen Schlüsseltechnologien zwingen die Älteren, von den Jüngeren zu lernen