Ausstiegsvertrag ist Fehlkonstruktion

Der geplante Vertrag bringt weder der rot-grünen Koalition noch den Atomkonzernen die erwünschte Sicherheit: Eine neue Regierung könnte ihn ohne weiteres kippen  ■   Von Christian Rath

Freiburg (taz) – Der Königsweg zum Atomausstieg könnte sich schnell als Holzweg erweisen. Der „öffentlich-rechtliche Vertrag“ zwischen Bundesregierung und Energieversorgern birgt etliche juristische Probleme, und er kann sein Ziel – langfristige Rechtssicherheit für alle Beteiligten – nicht gewährleisten.

Der Abschluß eines Vertrags dieser Art ist bisher ohne Beispiel. Normalerweise werden öffentlich-rechtliche Verträge eher auf der unteren Verwaltungsebene eingesetzt, etwa zur näheren Ausgestaltung einer Baugenehmigung. Im Bereich der großen Wirtschafts- und Umweltpolitik hatte man bisher nur die Wahl zwischen einer gesetzlichen Regelung durch den Staat und einer Selbstverpflichtung der Industrie. So versprach die Industrie im Jahr 1995, den Kohlendioxid-Ausstoß zu zügeln, worauf die Kohl-Regierung auf gesetzliche Maßnahmen der Klimapolitik verzichtete. Ein juristischer Vertrag wurde damals nicht geschlossen.

Beim Atomausstieg ist aber schon fraglich, ob der Bund überhaupt der richtige Vertragspartner ist. Die Genehmigung von Atomanlagen und die Atomaufsicht ist nämlich Ländersache. Sowohl der konservative Verfassungsrechtler Fritz Ossenbühl wie auch der kritische Atomrechtler Alexander Roßnagel halten die jetzigen Vertragspläne für verfassungswidrig. Ein Vertrag mit den Ländern wäre aber problematisch. Bayern zum Beispiel hält den Atomausstieg für einen politischen Fehler und würde sich, so ein Sprecher des Münchener Wirtschaftsministeriums, an einem solchen Vertrag nicht beteiligen.

Diese verfassungsrechtliche Hürde könnte aber genommen werden. Im geplanten Vertrag müßte nur eindeutig formuliert werden, daß er sich auf die Ausübung des Weisungsrechts des Bundes gegenüber den Ländern bezieht. Im Atomrecht kann das Bundesumweltministerium nämlich die Landesbehörden anweisen, wie sie das Atomgesetz konkret anzuwenden haben.

Schwerer wiegt Roßnagels Einwand, daß der geplante Vertrag sein Regelungsziel überhaupt nicht erreichen kann. „Eine dauerhafte Bindung an den jetzigen Konsens ist juristisch einfach nicht möglich“, betont der Kasseler Jurist. Dies gelte sowohl für die Pflicht der Energieversorger, ihre Kraftwerke nach 35 Jahren stillzulegen, wie auch für die staatliche Gegenleistung, auf eine forcierte Anti-Atompolitik zu verzichten.

Würde Rot-Grün die Mehrheit im Bund verlieren, dann könnte eine neue atomfreundliche Bundesregierung den jetzt geplanten Vertrag einfach wieder aufheben. Das Einverständnis der Energieunternehmen als Vertragspartner kann vorausgesetzt werden. Ein solcher Vertrag kann die Politik also nicht dauerhaft auf den Ausstieg festlegen.

Aber auch das „Wohlverhalten“ des Staates in Verwaltung und Gesetzgebung ist nicht dauerhaft gesichert. Insbesondere kann niemand garantieren, daß die auslaufende Kernenergienutzung „nicht durch behördliche Interventionen gestört wird“, wie es im Vertragsentwurf heißt. Vielmehr muß der Staat auf Nachbesserungen dringen, wenn es, etwa nach einem Atomunfall, neue wissenschaftliche Erkenntnisse gibt. Dies folgt schon aus seiner verfassungsrechtlichen Pflicht zum Schutz von Leben und Gesundheit der BürgerInnen. Im Verwaltungsverfahrensgesetz ist die Anpassung öffentlich-rechtlicher Verträge bei einer „wesentlichen Änderung“ der Verhältnisse ausdrücklich vorgesehen.

Aber auch ohne neue wissenschaftliche Erkenntnisse könnte der Bundestag in einigen Jahren einfach die Anforderungen im Atomgesetz verschärfen und so den Ausstieg beschleunigen. Im Vertragsentwurf verspricht die Bundesregierung zwar ausdrücklich, daß es dazu nicht kommen wird. Das Parlament kann sie durch einen von ihr unterzeichneten Vertrag jedoch nicht binden. Im Entwurf der Vereinbarung heißt es auch, der Vertrag gelte „unbeschadet der autonomen gesetzgeberischen Kompetenz des Parlaments“. Eine Zustimmung des jetzigen Bundestags ist zwar geplant, kann aber künftige Parlamente nicht rechtlich binden.

Roßnagels Schlußfolgerung ist eindeutig: „Es macht keinen Sinn, einen juristischen Vertrag über den Atomausstieg zu schließen. Ein Gentlemen's Agreement, das die Beteiligten nur politisch bindet, würde den gleichen Zweck erfüllen, aber weniger Probleme verursachen.“