„Der Konflikt wird auf die Frau verschoben“

■ Die Kirche hat die eigene Rolle geklärt, dem Ziel des Lebensschutzes aber keinen Dienst erwiesen, meint Annette Schavan, Vize-Präsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken

taz: Die katholischen Beratungen stellen ab Oktober einen Schein aus mit dem Vermerk: „Diese Bescheinigung kann nicht zur Durchführung straffreier Abtreibungen verwendet werden.“ Wird Baden-Württemberg einen solchen Schein akzeptieren?

Annette Schavan: Das Land wird juristisch prüfen lassen, ob der so gestaltete Schein den gesetzlichen Vorgaben entspricht. Im Gesetz heißt es, daß die Beratung „ergebnisoffen“ sein muß. Es könnte sein, daß der Satz die Ergebnisoffenheit konterkariert.

Übt Ihrer Meinung nach ein solcher Satz nicht enormen moralischen Druck auf die Frau aus?

Das ist keine sehr glückliche Lösung, es wirkt wie ein Verschieben des Konfliktes allein auf die Frau.

Der Vizepräsident des Hartmannbundes hält eine Abtreibung auf der Grundlage eines solchen Scheines für illegal. Muß die Kirche ihre moralischen Bedenken da nicht etwas vorsichtiger formulieren?

Dieser Satz wird Gegenstand der Debatten in den nächsten Wochen sein. Wenn dieser Satz sagt, hier wird alles weitere Handeln als illegal definiert, dann ist es keine ergebnisoffene Beratung, und dann wird es mit der Förderung schwierig.

Im Brief des Papstes heißt es, die Bischöfe sollten sicherstellen, daß der Nachweis nicht mehr für eine Abtreibung verwendet werden kann. Wäre es nicht konsequenter, das System zu verlassen?

Aus Rom hat es damals viel Lob und Zustimmung dafür gegeben, daß die Kirchen in der Abtreibungsdebatte die Pflichtberatung gefordert haben. Das schließt ein, daß man einen Nachweis braucht. Die erste Nachricht jetzt ist, daß wir in der Beratung bleiben können, und das ist eine gute Nachricht. Ob es eine gute Nachricht bleibt und eine wirkliche Lösung ist, das hängt von den juristischen Fragen ab.

Die Einheit der Kirche könnte man konsequenter wahren, wenn man den Weg des Bischofs Dyba geht. Für die Konfliktberatung gehen die Frauen zu den Katholiken, den Schein holen sie sich woanders.

Aber der Ausstieg der Kirche aus der gesetzlichen Beratung führt nicht dazu, daß weniger Abtreibungen stattfinden. Für mich ist das Thema, wie Mütter, die in Konfliktlagen sind, eine Perspektive für sich und ihr Kind sehen. Und wer da mitwirken will, der muß auch bereit sein, gesetzliche Bestimmungen zu erfüllen, und wenn er das nicht tut, dann kann er jedenfalls nicht für sich behaupten, wirksamer Leben zu schützen. Er kann nur behaupten, die Rolle von Kirche geklärt zu haben. Aber Lebensschutz ist der untaugliche Gegenstand für diese Klärung. Ein Rückzug der Kirche macht die Frommen nicht frömmer und die Kirche nicht profilierter. Situationen des Dilemmas kann man von sich wegschieben, aber dann wird man auch wirkungsloser in der Sache selbst.

Aber Rom scheinen die sauberen Hände wichtiger zu sein als die Einflußnahme auf die Gesellschaft.

In Rom wird das teilweise tatsächlich kritisch gesehen, aber auch Rom muß sich der Frage stellen, was das Thema ist. Ich muß das Verhältnis Staat und Kirche in seinen Auswirkungen diskutieren und nicht nur theoretisch. Und die Auswirkungen sind: Es werden nicht weniger Abtreibungen.

Müssen die Bischöfe dem Vatikan nicht offensiver entgegentreten, um solch absurde Formulierungen zu vermeiden?

Es ist wichtig, daß die Bischöfe ihre Auffasung von der Führung der Kirche deutlich machen: Daß die Kirche in der Welt sich nicht unter dem Primat des Gehorsams führen läßt, daß Ortskirchen keine Filialkirchen sind, sondern Verantwortung in der Welt tragen. Ich glaube nicht, daß man jetzt so eine automatische Entwicklung zulassen darf, die dazu führt, daß die Kirche immer mehr an Glaubwürdigkeit verliert. Interview: Heide Oestreich