Dann tobt der Bär im Land

■ In den Sozialämtern herrscht Personalnotstand: Das erste Amt hat jetzt für eine Woche dichtgemacht / Ein Einblick in den Gemütszustand der Mitarbeiterschaft

Eine Großdemo mit allen Bedürftigen dieser Stadt. „Das wär' was“, sagt die Sachbearbeiterin im Sozialamt. Aber zu einem Streik fehle den meisten Kollegen schlicht die Kraft: Denn in Bremens Sozialämtern liegen die Nerven blank – wegen chronischen Personalnotstands: Ein Sachbearbeiter hat derzeit bis zu 400 Sozialhilfe-Empfänger in der Kartei – eine „Dauerbelastung“, die nun erste Folgen zeigt: Die Neustädter klebten kurzerhand ein Schild an den Eingang: Eine Woche lang „keine Sprechzeiten“.

Der Grund für die einwöchige Schließung: Die Sachbearbeiter konnten nicht mal mehr ihre Post abarbeiten. „Wegen Postrückstand“ steht deshalb auf den Schildern, die BesucherInnen auf die Unterbrechung hinweisen. „Wir kamen mit der Post einfach nicht mehr nach“, sagt die Mitarbeiterin. Und geldeintreibende Stadtwerke oder Pflegekassen fackeln bekanntlich nicht lange: „Die schicken uns dann teure Mahnungen oder drehen einfach jemanden den Strom ab“.

Grund genug, jetzt die Notbremse zu ziehen – und auf die bremenweit „bittere“ Situation hinzuweisen. Bremens Sozialämter stünden insgesamt „vor dem Bankrott“, sagt Personalrat Burkhard Radtke: Die Sozialhilfeverwaltung würde „systematisch kaputtgespart“. In Zahlen hört sich das so an: Auf insgesamt 55.000 Sozialhilfe-EmpfängerInnen kommen nur noch 300 Sachbearbeiter – weil die Koalition bei wachsender Sozialhilfequote stetig die Fallzahlen erhöhte, statt neues Personal einzustellen.

Die Folgen der Arbeitsverdichtung: „Tinnitus, Magenprobleme, Migräne“ – und ein 30 Prozent hoher Krankenstand. „Sobald sich der eine berappelt hat, klappt der andere zusammen“. Dem „Arbeitsdruck“ sei man auf die Dauer nicht gewachsen: „Du mußt ständig für alle da sein“ – selbst in der jetzigen Schließungswoche bleiben die Türen offen und die Besucher dementsprechend gelassen: „Wir dürfen uns nicht abschotten. Die Verpflichtung lautet, allzeit bereit zu sein“.

Und so heißt das bei fast 400 betreuenden Menschen pro Sachbearbeiter: Vom Familienstreit, über die Kindsgeburt bis hin zu Umzügen oder finanziellen Notlagen: „Wir reagieren sofort. Wenn jemand geräumt werden soll, müssen wir Freitag mittag noch bei Gericht jemand erreichen“, erklärt die Mitarbeiterin – oder bei plötzlichem Tod „die entsprechenden Schritte einleiten. „Das muß alles sofort passieren – samt genauer Kostenprüfung“.

Zwei große Schränke voll Akten stehen deshalb in fast jedem Zimmer der Sachbearbeiter in der Neustadt. Und „von der Wiege bis zur Bahre – Formulare, Formulare“. Die offenen Sprechzeiten mit langen Warteschlangen im Flur habe man zwar schon zum Teil abgeschafft – und durch konkrete Terminvergabe ersetzt. Aber noch wurden nicht alle Abteilungen umgestellt: „Das ist aber viel entlastender, weil man nicht ständig eine Schlange von zehn Leuten im Rücken hat“.

Doch trotz Terminvergabe bleibt das Problem zu hoher Fallzahlen – und daß „wir einfach keine Lobby in der Stadt haben“. In den Köpfen seien die Sozialämter „schlicht das Hinterletzte. Hier will doch keiner arbeiten“, klagt die Kollegin – und setzt auch keine Hoffnung in die neuen Koalitionsvereinbarungen zum Sozialbereich. Denn SPD und CDU vereinbarten nur vage eine „fallzahladäquate Stellenausstattung“ – und fordern gleichzeitig mehr Kontrolle bei auszuzahlenden Leistungen.

Aber darüber können die KollegInnen vor Ort nur lachen: „Wie soll das gehen bei so wenig Personal?“. Wer soll sie machen, die anvisierten Hausbesuche bei Umzügen, jedem einzelnen Sachantrag für Möbel oder anderen Bedarf? „Mit solchen Kontrollen kann man sowieso keine Einsparungen erreichen“, sind die Sachbearbeiter überzeugt – und berichten von Besuchen, „wo man eher dachte, die brauchen noch ganz andere Sachen“.

Irgendwie „helfen“ wollten die Sachbearbeiter den Leuten eigentlich mal, als sie vor zum Teil zehn Jahren im Sozialamt anfingen. Heute könne man kaum noch die gesetzlich vorgeschriebene „Beratung“ leisten. „Bitter ist das“, sagt die Kollegin. „Dabei sorgen wir für den sozialen Frieden“ – „wenn wir streiken würden, tobt doch der Bär in der Stadt“. kat