Mahnmal läßt junge Berliner Juden nicht kalt

■ Die Frage unter jungen Juden heißt: Einmischen oder nicht? Einige haben Bauchgrimmen, sprechen vom „leidigen Thema“, die anderen fordern ein lebendiges Denkmal und keinesfalls ein „totes Ding“

Es ist ihre Stadt. Sie vor allem wird die Entscheidung betreffen, ob in Berlin ein „Denkmal für die ermordeten Juden Europas“ entsteht, wie es in Stadtplänen schon jetzt vorgesehen ist. Denn sie sind jung und wohnen in der Hauptstadt, werden womöglich Tag für Tag und jahrelang an diesem Platz neben dem Brandenburger Tor vorbeifahren oder vorbeilaufen.

Und sie sind jüdischen Glaubens – aber sollen sich junge Jüdinnen und Juden Berlins überhaupt dazu äußern: zu einem Mahnmal, das an die Ermordung ihrer Großeltern, Verwandten oder doch zumindest Glaubensschwestern und -brüder erinnert? Ist ein Mahnmal nicht Sache der Nichtjuden, überspitzt gesagt: der Kinder und Enkel der Täter viel mehr als der Nachkommen der Opfer?

Wer sich unter den jungen Leuten der Jüdischen Gemeinde zu Berlin, der größten in Deutschland, umhört, was sie zum geplanten Holocaust-Mahnmal denken, der trifft (natürlich) auf ganz unterschiedliche Meinungen – und neben vielen Zweifeln auch an der eigenen Position, zumindest auf Interesse an der Debatte. Judith Orland zum Beispiel. Zwar nennt die 28jährige Projektmanagerin die Mahnmals-Debatte seufzend „ein leidiges Thema“. Doch zur Frage, ob überhaupt ein Denkmal entstehen sollte, hat sie dann doch eine klare Ansicht: Eigentlich existierten zur Shoah schon genügend Mahnmale, meint sie – aber wenn es denn noch ein neues geben solle, dann sei die Form entscheidend. Geschichte und Erinnern, mahnt sie, müßten „etwas Lebendiges sein“: Sei da ein Mahnmal das rechte Mittel?

Diese Zweifel hat auch Yael Kupferberg. Die Studentin, 21 Jahre alt, kann sich nur mit einem Mahnmal anfreunden, das „lebensnah“ sei und eine Botschaft transportiere: Etwas „Konstruktives“, das nach vorne gewendet ist, zu politisch-gesellschaftlichem Engagement auffordert, Sensibilität fördert: etwa für Rassismus und politische Repression. Kein „totes Ding“ oder klassisches Denkmal, an dem man „eine Minute schweigt“ und dann weitergeht. Auch Katia Appel, eine 18jährige Schülerin, unterstützt ein Denkmal nur mit deutlichem Bauchgrimmen. Denn es stört sie, daß das Judentum, auch durch das Mahnmal, wieder vor allem in Verbindung mit Antisemitismus und der Shoah wahrgenommen werde. Die Mehrheitsgesellschaft sollte sich dagegen viel mehr mit der jüdischen Kultur und Religion auseinandersetzen. So zweifelnd, aber eher pragmatisch sieht es auch Michael Anthony, ein 24jähriger Student. Einerseits hält er „nichts von dieser Form des Gedenkens“ an einem „toten Ort“, sondern favorisiert eine Erinnerungs- und Lehrstätte wie etwa das Holocaust-Museum in Washington. Andererseits sucht er den Willen der Deutschen, sich mit dem Thema Shoah auseinanderzusetzen – und wenn das passiert, „finde ich das gut“. Wenn zudem Leute wie der Regierende Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) manchen Vorschlägen Barrieren in den Weg legen, habe er sofort das „Vorurteil“, daß da was verdrängt werden solle. Dann habe er die Neigung, die Mahnmals-Idee zu verteidigen.

Eindeutig für ein Mahnmal sind aus ähnlichen Gründen Julia Friedrich, 23, und Michael Grinman, 27. Angesichts der politischen Lage, betont die Studentin, müsse es gebaut werden. Nach zehn Jahren wäre es „zu peinlich“, wenn man sich eingestehen müßte: „Wir schaffen es nicht.“ Die Position Diepgens findet sie „moralisch und menschlich voll daneben“. Der wolle „auf diesem wertvollen Baugrund“ offenbar ein Mahnmal, das „bloß kein Aufsehen erregt“. Michael Grinman, ein Wirtschaftsanalytiker, fordert das Mahnmal als einen Beitrag, um „nicht zu vergessen“.

Und fast einhellig ist unter den Befragten die Meinung: Das Mahnmal müsse aller Opfer der Nazis gedenken. Es dürfe keine „Hierarchisierung“ der Opfergruppen geben, sagt Julia.

Dennoch müsse das Spezifische des Völkermordes an den Juden deutlich werden – wie beides zu verwirklichen ist, bleibt bei den jungen Juden eine offene Frage. Der Schröder-Vorschlag („Du sollst nicht töten“) stößt auf eindeutige Ablehnung – vor allem seine ursprüngliche Idee, dies in Hebräisch zu schreiben. Denn in der Regel, so betont Yael, könnten nur Israelis und Juden den Satz überhaupt verstehen – sei der dann etwa eine Mahnung an sie?

Dies beantwortet auch die Frage, ob sich Juden überhaupt in die Debatte einmischen sollten. Die grundsätzliche Entscheidung für oder gegen ein Mahnmal, so heißt es praktisch unisono, müßten die nichtjüdischen Deutschen treffen. Wenn aber ein Vorschlag wie der Schröders zu unsensibel sei, müßten sich auch Juden zu Wort melden. Die Frage „einmischen oder nicht“ sei in der jüdischen Gemeinde hart umstritten, sagt Yael.

„Da ich den Schröder-Vorschlag noch schlechter finde“, ist deshalb Julia für den Entwurf Eisenmans und bringt damit die Mehrheitsmeinung auf den Punkt. Die ganze Debatte um das Mahnmal ist, so sagt es Julia für die meisten, „am Ende sehr zäh“. Zugleich habe die Diskussion aber auch produktive Seiten: Sie habe die Gesellschaft wieder zur Auseinandersetzung mit ihrer Vergangenheit gedrängt – und manche gezwungen, sich und ihre zum Teil braunen Ansichten zu „outen“.

Deshalb ist auch das Ende der Debatte und der voraussichtliche Entschluß zum Bau eines Denkmals unter den befragten Jüdinnen und Juden umstritten: Während Michael Grinman betont, er werde „sehr froh sein“, wenn das Denkmal „endlich“ stehe, kann Michael Anthony „eine gewisse Genugtuung“ nicht verbergen, daß „alte, schreckliche Nazis“ in ihren letzten Lebensjahren durch das Mahnmal noch einmal mit ihren Untaten öffentlich konfrontiert würden. Etwas „Angst“, so sagt Yael, habe sie vor den Reaktionen vor allem der nichtjüdischen Bevölkerung. Das Mahnmal werde wohl auch antisemitische Sprüche provozieren – „und da habe ich keinen Bock, mich damit zu befassen, aber ich werde es müssen“, klagt sie.

Das Ende der Debatte, so sagen alle schließlich einhellig, dürfe eine Wirkung nicht haben: daß mit dem Bau des Mahnmals die Diskussion über die Vergangenheit ausklingt – erst recht nicht in ihrer Stadt. Philipp Gessler

„Sich nach zehn Jahren einzugestehen ,Wir schaffen es nicht' wäre zu peinlich. Und Diepgens Position finde ich moralisch und menschlich voll daneben.“