„Kastration des Gesetzgebers“

■ Der Grünenabgeordnete Winfried Hermann findet den Kompromiß zum Atomausstieg inakzeptabel. Die Grünen haben Fehler gemacht

Winfried Hermann ist stellvertretender Vorsitzender des Bundestagsausschusses für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit.

taz: Der Parteirat der Grünen hat sich dagegen gewehrt, länger als 30 Jahre zu warten, bis alle deutschen Atomkraftwerke abgeschaltet sind. Könnten die Grünen mit 25 Jahren leben?

Winfried Hermann: Die vorgeschlagenen Fristen sind absolut inakzeptabel, weil damit die letzten Meiler noch 50 Jahre laufen können. Daß ein Sofortausstieg nicht machbar ist, wußten wir ja. Aber daß die Kompromisse schlechter sind als das, was technisch und ökonomisch machbar ist, können wir unserer Klientel schwer vermitteln.

Sehen Sie noch eine Chance, daß sich die Grünen doch noch mit ihrer Position durchsetzen?

Ich kann nur hoffen, daß die Antiatombewegung und die Partei aufwachen. Die Verhandlungsschwäche der Grünen liegt darin, daß sie keinen gesellschaftlichen Protest hinter sich bringen. Der richtet sich eher gegen die Grünen selbst.

Was machen die Grünen falsch?

Gerade wird doch ausgetestet, wie klein und biegsam wir Grünen sind. Das hat auch damit zu tun, daß einige unserer Verhandlungsführer in einigen Bereichen zu viel Appeasement-Politik machen, sich zu schnell auf Kompromisse einlassen und daß die grüne Fraktion nicht als Drohpotential genutzt wird. So verspielt man seine Verhandlungmacht. Und die Basis sitzt da und wartet, bis wir Mist bauen.

Nach Werner Müllers Vorschlag dürfen alternative Energieträger nur noch zehn Prozent des Strommarkts decken.

Diese Deckelung muß zwingend vom Tisch. Man kann nicht vom freien Markt schwadronieren und gleichzeitig den eigenen Atommarkt sichern wollen. Die Bundesrepublik soll über sechs Legislaturperioden darauf festgelegt werden, den AKW Gewinne zu gewährleisten. Das Müller-Papier ist damit keine Bindung für den Ausstieg, sondern eine Bindung für den Betrieb. Diese Industrie rechnet sich doch nur, wenn man die Sicherheitsstandards von 1999 festschreibt ...

... wie es in dem Müller-Papier steht ...

Richtig, man verpflichtet sich, daß an den Sicherheitsvorschriften nichts mehr geändert wird. Das ist eine Kastration des Gesetzgebers unter dem Deckmantel eines Ausstiegsvertrags.

Meistens läßt Ihr Umweltminister sich bei solchen Fragen von Schröder zurückpfeifen.

Das hat System. Immer wenn Trittin etwas vorangebracht hat, das gegen die Interessen der Industrie ging, die Gerhard Schröder vertritt, hat der Kanzler sein Machtwort gesprochen und den Koalitionsvertrag ignoriert. Da muß Schröder sich noch warm anziehen. Er sitzt nur so fest im Sattel, wie diese Koalition ihn trägt.

Jüngstes Beispiel für grüne Niederlagen ist die Ökosteuer.

Die Ökosteuer läßt kaum mehr etwas von unseren Absichten übrig. Außerdem wird Kohle nach wie vor begünstigt. Das ist ökologisch nicht zu begründen. Schröder hat wieder mal sein Machtwort gesprochen.

Und die Grünen haben das abgenickt.

Die Mehrheit hat der Ökosteuer zugestimmt, weil die Verhandlungsführer durchblicken ließen, daß die SPD dazu keine Alternative gibt. Die Ökosteuer wäre sonst eben geplatzt.

Was bliebe von der grünen Partei bei der größten anzunehmenden Eskalation, dem Koalitionsbruch?

Am Atomausstieg entscheidet sich die Glaubwürdigkeit der Grünen. Wenn da nichts Akzeptables erreicht wird, ist das nicht nur das Ende der Koalition, sondern auch das Ende der Grünen. Interview: Sebastian Sedlmayr