Ein Mann kämpft gegen das Mahnmal

■ Dem Regierenden Bürgermeister Berlins, Eberhard Diepgen, ist jedes Argument recht, um das Denkmal für die ermordeten Juden Europas im Herzen der Stadt zu verhindern

Heute macht der Bundestag, was Berlins Regierender Bürgermeister um jeden Preis vermeiden wollte: Er trifft eine Entscheidung. Seit der Streit um ein Mahnmal für die ermordeten Juden Europas voriges Jahr in seine entscheidende Phase getreten ist, verfolgte Eberhard Diepgen (CDU) mit wechselnden Argumenten das gleiche Ziel – verschleppen, verzögern, verhindern.

Anfangs, als die Verwirklichung der Mahnmals-Pläne noch in weiter Ferne schien, wagte sich Diepgen nur selten aus der Dekkung. Vage ließ er sein Credo durchblicken, Berlin dürfe nicht zu einer „Hauptstadt der Reue werden“. Dabei mag es für ihm auch eine persönliche Befriedigung gewesen sein, dem Mahnmals-Befürworter Helmut Kohl seine hauptstädtische Geschichtspolitik zu vermasseln. Schließlich mochten sich Diepgen und Kohl noch nie. Der Kanzler war von Anfang an voller Verachtung für den „blassen Eberhard“. An dessen Wahlerfolgen konnte er zwar nicht vorbei, aber er ließ den Berliner stets deutlich spüren, wer der Chef war.

Erst als im Sommer 1998 eine baldige Entscheidung für den Eisenman-Entwurf drohte, wagte sich Diepgen aus der Deckung. Inzwischen hatten sich Gegner des Mahnmals zu Wort gemeldet, die eines braunen Anstrichs gänzlich unverdächtig waren – darunter der Präsident der Berliner Akademie der Künste, György Konrád. Jetzt mußte Diepgen nicht mehr den Ruch der rechten Ecke fürchten.

Mit dieser Phalanx der Bedenkenträger im Rücken, schaffte es Diepgen, daß der Kanzler die Frage auf die Zeit nach der Bundestagswahl vertagte. Doch er hatte die Rechnung ohne die neue Bundesregierung gemacht. Die rot-grüne Koalitionsvereinbarung legte die Entscheidung in die Hände des Bundestags.

Obendrein hatten sich auch die Berliner Sozialdemokraten zu einem einhelligen Votum für Eisenman II durchgerungen – ohne aber wegen dieser Frage eine Koalitionskrise zu riskieren. Noch vor der Bundestagswahl hatten sie sich mit der Diepgen-Union auf einen Formelkompromiß geeinigt, der als gemeinsamen Nenner lediglich irgendein Mahnmal „im Zentrum Berlins“ vorsah. Sie konnten Diepgen nicht einmal die Zustimmung zu einem Standort im Regierungsviertel abringen, geschweige denn ein Votum für Eisenman.

Im März schritt Diepgen dann im Berliner Senat zum seltenen Mittel der Kampfabstimmung. Gemeinsam mit den fünf CDU-Senatoren setzte Diepgen gegen die fünf SPD-Stimmen einen Kabinettsbeschluß durch, den Wettbewerb erst einmal nicht zu entscheiden. Der zuständige Kultursenator Peter Radunski (CDU), eigentlich ein vehementer Befürworter des Eisenman-Entwurfs, beugte sich der Parteidisziplin.

Welche Standorte für Mahnmale ihm wirklich vorschweben, machte Diepgen bei der geplanten Gedenkstätte für die ermordeten Sinti und Roma deutlich. Der Regierende Bürgermeister schlug vor, sie solle im Plattenbaubezirk Marzahn am östlichen Stadtrand an die noch immer ungeliebten Opfer zu erinnern. Als Argument bemühte Diepgen die Geschichte: Dort hätten die Nazis 1936 ein Sammellager errichtet, um die Hauptstadt zur Olympiade „zigeunerfrei“ zu präsentieren.

So starrsinnig Diepgen an seiner Gegnerschaft zum Mahnmal festhielt, so oft wechselte er die Argumente. „Wir brauchen keinen neuen Wettbewerb“, hatte er noch im November 1998 verkündet – um zwei Monate später dann doch für eine erneute Ausschreibung zu plädieren. Der Berliner CDU-Chef war für alle Verfahren zu haben – Hauptsache, sie verzögerten die Entscheidung.

Sollte der Bundestag heute den Willen der Berliner CDU übergehen, droht Diepgen schon im Januar, „dann würde ich die Diskussion eröffnen, ob wir das hinnehmen“. In Berlin wird schon darüber diskutiert, ob der Senat die Baugenehmigung für das ungeliebte Mahnmal verweigern könnte. Ralph Bollmann, Berlin