Hilfe, es ist camp!

Dem Außenstehenden bleibt meist verschlossen, wieso homosexuelle Männer angesichts ganz nebensächlicher Dinge von plötzlicher Begeisterung erfaßt werden können. Tritt dieser Effekt ein, kann man zumeist sicher sein, daß es sich um ein Phänomen handelt, das gemeinhin camp genannt wird. Die Frage ist nur: Wie funktioniert es?

Nehmen wir etwa den englischen Spielfilm „Schwarze Narzisse“ aus dem Jahr 1947. Deborah Kerr spielt hier eine junge Nonne, die mit der verantwortungsvollen Aufgabe betraut wird, ein entlegenes Kloster im Himalaya zu leiten. Der Wind, der dort oben ständig weht, heißt es, mache krank. Und tatsächlich reißen die Naturgewalten bald an den Nerven sämtlicher Schwestern. Für zusätzliche Irritation sorgen schließlich auch noch ein umwerfend femininer indischer Prinz (Sabu) und ein stets Shorts tragender Wildhüter. Nach allerlei Gezerre unter den Nonnen verläßt Deborah Kerr schließlich mit ihren Zöglingen den zugigen Ort: The End.

Was aber macht diesen merkwürdigen Film zum Feuerwerk des Camp? Schwule werden die Handlung bereits mit erhöhter Aufmerksamkeit verfolgen, weil der Film komplett im Studio und mit so künstlichen Farben gedreht wurde, wie sie die Natur kaum zuließe. Camp leugnet niemals seine Künstlichkeit, sondern rückt sie geradezu in den Vordergrund. Das schwule Unterbewußtsein sendet das Signal: „Hoppla, hier kommt eine andere Welt.“ Vielleicht eine bessere, idealere? Insgeheim frohlockt der Schwule: „Das wird schön in die Hose gehen.“

Der Homosexuelle ist dem Schönen, Wahren und Guten gegenüber sehr aufgeschlossen – er hat mühsam genug lernen müssen, sein eigenes Ich mit diesen Werten in Einklang zu bringen. Eine heilere Welt fände er überaus vernünftig – vielleicht eine, in der Reinheit herrscht und Sexualität keine Abgründe birgt? Mit der gleichen statistischen Wahrscheinlichkeit, mit der heterosexuelle Männer Fußball oder (Anti-)Kriegsfilme mögen, sind Schwule für Nonnenfilme zu begeistern. Denn im Filmkloster sind Selbstverleugnung, Güte und Reinheit die obersten Tugenden; und selbstredend verbergen sich darunter Mühsal, Zweifel und Anfechtung.

Der Schwule freut sich am Klischee des Heilen, aber er weiß zugleich um dessen Künstlichkeit. Er ist nur deshalb so empfänglich für Kitsch, weil er dessen Wonnen so gründlich mißtraut. Camp, so künstlich er daherkommen mag, ist da nichts anderes als ein verklausulierter Realismus – die Darstellung einer grandiosen Verheißung, hinter der sich als stets bewußte Folie die Möglichkeit, nein, die Wahrscheinlichkeit eines ebenso grandiosen Scheiterns verbirgt. Das mag man schadenfroh nennen oder selbsthasserisch; lustig ist es allemal.

Und: Camp hilft bei der Selbstdefinition. Kaum etwas ist schöner als ein Exklusivhumor, mit dem man in Gleichgesinnte und Verständnislose scheiden kann. Sollte allerdings Homosexualität einmal nichts anderes mehr sein als eine Option der sexuellen Orientierung, wird Camp wohl auch für Schwule unverständlich werden. Einstweilen aber treibt er noch merkwürdige und sehr schöne Blüten. rkr