Schöner, besser, camp!

Am Kitsch scheiden sich die Geister. Was dem einen unerträglich zuckrig erscheint, versetzt den anderen in Entzücken. Schwule gehören meist in die zweite Kategorie. Sie sind es auch, die den Kitsch zur Kunstform erhoben haben. Nicht erst seit Pierre et Gilles erschaffen schwule Fotografen verzauberte Gegenwelten, in denen einfach alles blinkt und strahlt. Denn eins ist den Homos klar: Die Welt könnte schöner sein. Gut, daß sie die Vergeblichkeit dieses Wunsches mit Humor nehmen  ■ Von Reinhard Krause

Der englische Fotograf Cecil Beaton (1904 – 1980) konnte noch Jahrzehnte später genau den Moment schildern, als er zum ersten Mal von der Leidenschaft für das Künstliche gepackt wurde. „Als ich vier war“, schrieb er 1951 in seiner Autobiographie, „erlaubte mir meine Mutter gewöhnlich, zu ihr ins große Bett zu krabbeln und mich an sie zu schmiegen, während sie an ihrem ersten Morgentee nippte und die Post öffnete. Eines Morgens fiel mein Blick dabei auf eine Postkarte, die vor mir auf der rosa-seidenen Daunendecke lag. Ihre Schönheit versetzte meinem Herzen einen Stich. Es handelte sich um ein Foto von Miß Lily Elsie.“

Beaton war von Stund an ganz verrückt nach den leicht kitschigen Fotopostkarten der jungen Schauspielerin. Dabei ging es ihm keineswegs nur um die reine Schönheit: „Diese etwas ungelenke und künstliche Art von Fotografien nahm so Besitz von mir, daß ich selbst mißglückte Bilder wie Schätze hütete. Wurde eine Schauspielerin in einer besonders affektierten Pose festgehalten, war ich entzückt. Wenn hinter dem Kopf meiner Favoritin Lichtreflexe wie Froschlaich erschienen, barg das für mich eine magische Qualität.“

Auch wenn gerne angenommen werden darf, daß Beaton die kindlichen Motive im Rückblick zuspitzte: Hier handelt es sich um ein frühes Manifest der Camp-Ästhetik, einer spielerischen Kunstform, die im 20. Jahrhundert vornehmlich von homosexuellen Männern entwikkelt wurde und die bis zu Susan Sontags „Bemerkungen über Camp“ (196?) ganz ohne theoretisches Gerüst auskam. Sontag war es, die den bewußt artifiziellen Charakter von Camp als erste herausstellte und auf die enge Verbindung von idealistischer Darstellungsweise und gleichzeitiger subtiler Ironisierung hinwies.

Cecil Beaton, einer der bekanntesten Fotografen des zwanzigsten Jahrhunderts, gilt als ein Wegbereiter des Camp. Kaum jemand verstand es wie er, mit sorgfältig ausgesuchten, aber nicht zwingend teuren Requisiten eine Atmosphäre aus Exzentrizität und Eleganz zu schaffen. Um Beatons sexuelle Orientierung ist erstaunlicherweise nie viel Aufhebens gemacht worden – um seine angebliche Liaison mit (ausgerechnet!) Greta Garbo, der „Göttlichen“, übrigens auch nicht. Vielleicht sprachen seine Fotos bereits eine zu deutliche Sprache: Wem es gelingt, blasierte Gesellschaftsdamen zu Ikonen der Eleganz zu erheben, der kann wohl nur schwul sein.

Bereits als Heranwachsender versuchte Beaton, mit der Kamera nicht die schiere Realität abzubilden, sondern im Gegenteil eine magische Phantasiewelt zu erschaffen. Zu diesem Zweck mußten seine Schwestern Baba und Nancy hinter spiegelglatt polierte, umgestülpte Tische kriechen oder sich in Unmengen zerknitterten Zellophans begraben lassen. Hauptsache, die so entstandenen Fotos sahen merkwürdig aus und irreal. Und das taten sie! Beatons frühe Fotografien scheinen förmlich über der Wirklichkeit zu schweben. Jeder, den er porträtierte, wurde zum Bestandteil einer optisch aufwendigen Inszenierung, in der es keine Sorgen oder gesellschaftlichen Unterschiede zu geben scheint. Hier regiert der Wille zur Stilisierung und sonst nichts.

Kein Wunder, daß sich die jungen Damen und Herren der Gesellschaft bald darum rissen, von Beaton fotogen in Szene gesetzt zu werden. Vor allem in den Geschwistern Sitwell fand Beaton Modelle, die nur zu bereitwillig in die kuriosesten Rollen schlüpften. Edith Sitwell zum Beispiel, die große Exzentrische der britischen Dichtkunst, ließ sich Mitte der zwanziger Jahre als vergeistigte Harfenistin fotografieren (übrigens hat die Harfe nicht eine Saite), beim Morgentee im hochherrschaftlichen Himmelbett oder als aristokratische Tote.

Beatons Karriere ist ein Paradebeispiel dafür, wie aus dem schwulen Willen zu Stil und Eleganz tatsächlich ein einträgliches Geschäft werden kann. Seine Porträts beschworen eine Welt des Luxus und der Phantasie und weckten damit das Interesse derer, die über die notwendigen Mittel verfügten, tatsächlich in solchen Traumwelten zu leben. Er verhalf seinen betuchten Auftraggebern zu Porträts, auf denen sie müßig und sorglos, gleichzeitig aber auch bedeutsam und inspiriert erschienen; im Gegenzug erhielt er, der aus gutem, aber nicht erstem Hause stammte, Zugang zur Avantgarde der Kunst und der Gesellschaft. So entstand das Bild einer exklusiven Gesellschaft, die es in Wirklichkeit gar nicht gab. Die Reichen waren nicht so grandios, die Exzentriker nicht so reich, wie sie bei ihm erscheinen. Die Sitwell etwa, unbeschadet ihrer Vorliebe für riesige Aquamarine, war von ständigen Geldsorgen geplagt.

Im Vergleich zu den Werken heutiger Protagonisten des Camp fällt auf, daß das Element expliziter homoerotischer Fotografie bei Beaton fehlt. Während seine Alterskollegen wie Horst P. Horst seit den dreißiger Jahren zumindest gelegentlich mit diesem Genre experimentierten oder, wie George Platt Lynes, eine schwule Ikonographie erarbeiteten, blieb die Welt des verschwenderischen Dekors, des Stils und der Extravaganz bei ihm unberührt von sexuellen Begierden.

Ein anderer schwuler Fotograf, der in etlicher Hinsicht ein Antipode zu Cecil Beaton ist, steht gerade im Begriff, neu entdeckt zu werden. Von einer wirklichen Wiederentdeckung kann bei dem mittlerweile 65jährigen Amerikaner James Bidgood freilich nur bedingt die Rede sein. Dessen Werk nämlich ist mittlerweile mehr als dreißig Jahre alt und bislang nahezu unbekannt geblieben. Dabei hat Bidgood in den späten sechziger Jahren sogar einen legendenumrankten Film gedreht, „Pink Narcissus“. Anders als sein britischer Kollege hat sich Bidgood aber nie einen Markt erschließen können, der ihm eine Existenz als Fotograf gesichert hätte.

Sein größtes Handicap: Für Bidgood stand stets das erotische Darstellungsinteresse im Mittelpunkt seiner Fotografie. Und das zu einer Zeit, als es in Amerika zwar eine klandestine schwule Subkultur gab, aber durchaus noch keine stolze community. Bidgoods Fotoserien, die jetzt im Kölner Taschen Verlag erstmals als Buch vorgelegt wurden, erschienen in den sechziger Jahren in dubiosen Zeitschriften für Bodybuilder oder Freunde des FKK-Gedankens. Was Bidgood heraushebt aus dem Heer der Fotografen, die im Graubereich von Pornographie und Kriminalisierung ihr Auskommen fanden, ist sein unbeirrbarer Wille zur Stilisierung, zum theatralischen Dekor.

Gleich seine erste große Fotosequenz, die veröffentlicht wurde, war eine Meisterleistung des Kulissenbaus. „Water Colors“, so der Titel der Farbserie aus dem Jahr 1963, zeigt einen spärlich bekleideten jungen Mann, der durch eine bunte, künstliche Unterwasserwelt zu gleiten scheint. Die Kulissen bestanden aus Plastikfolien, schillernden Stoffbahen und ein paar Theaterrequisiten, die Bidgood aus seiner hauptberuflichen Tätigkeit als Dekorateur zusammengesucht hatte. Den Effekt scheinbarer Schwerelosigkeit erzielte er durch raffinierte Kameraeinstellungen, diverse Farbfilter und einen kunstvoll in den Kulissen verborgenen Sockel, auf dem sich sein Modell aufstützen konnte.

In späteren Serien tritt der voyeuristische Effekt stärker zutage. In „Sandcastle“ etwa schildert er die – ziemlich harmlose – Begegnung zweier Jugendlicher in einer Grotte. Auch hier zeitigt der Vorsatz, nur künstliche Requisiten einzusetzen, den von Bidgood gewünschten, surrealen Effekt. Freilich zeigt sich auch, daß Bidgood nicht die gleiche Energie auf die Führung seiner Modelle verwandt hat wie auf die Ausgestaltung der Dekoration. Das kumpelige Nebeneinander seiner Darsteller mag den Interessen von Pornokonsumenten entgegengekommen sein – zur Künstlichkeit der Szenerie steht es in deutlichem Kontrast. Bidgoods mangelndes psychologisches Interesse erweist sich als künstlerisches Manko.

Noch größere Probleme bereitete Bidgoods Perfektionismus beim Bau der Kulissen. Häufig mußte er wochenlang in seinen Aufbauten wohnen, weil das Geld für ein Studio fehlte. Die vollständige Kontrolle über seine Arbeit erwies sich jedoch nicht als Segen: Bidgood verzettelte sich über den Dreharbeiten zu „Pink Narcissus“ so sehr, daß der Film nur mit fremder Hilfe fertiggestellt werden konnte – und vor Bidgoods strengen Augen keine Gnade fand. Der Film erschien ohne Nennung seines Namens. Frustriert zog sich Bidgood schließlich aus der Fotografie zurück. Dabei hat der Film das Zeug zu einem experimentellen Kultfilm des Camp. In Form einer Parabel schildert er den Aufstieg und Fall eines jungen Homosexuellen: vom Erwachen seiner Sexualität bis zur bitteren Vision seines Endes in der Gosse. Ein zwischen moralischem Selbstekel und frenetischer Feier der Sexualität oszillierender Film, der durch seine assoziativen Bildfolgen besticht.

Daß Bidgood gerade heute neu entdeckt wird, läßt sich mit der gewachsenen Offenheit gegenüber schwuler Sexualität erklären. Auch die Haltung gegenüber affirmativ positiven, kitschigen Darstellungsweisen hat sich deutlich verändert. Geriet in den sechziger und siebziger Jahren noch fast zwangsläufig alles unter Kitschvorbehalt, was nicht von unzweideutig kritischer Haltung zeugte, so ist die Skepsis gegenüber universellen Weltmodellen heute keine Minderheitenmeinung mehr.

In einem Aufsatz zu den ebenfalls in der Photo & Sexy Books-Reihe des Taschen Verlags erschienenen „Sämtlichen Werken“ des französischen Künstlerpaars Pierre et Gilles heißt es: „Sie wissen, daß es sehr prätentiös ist, sich zu wünschen, daß man die Wahrheit der Dinge erfaßt hätte, und deshalb hängen sie so inständig und genau an der Hülle, um sich auf die Effekte an der Oberfläche zu konzentrieren.“ Die konsequente Hinwendung zur Oberfläche hat freilich ihren Preis. Zunächst einmal wird es unmöglich, bei Pierre-et-Gilles-Bildern von Heiligen und Märtyrern, von Popstars und Strichjungen nachzuweisen, wo die romantisierende Manier aufhört und Kritik und Ironie ins Spiel kommen.

Wichtiger ist der Umstand, daß in ihrer Kunst exzentrische Individualität, wie sie das Werk Beatons noch prägte, keine wirkliche Entfaltungsfläche mehr findet. So wie der Popstar Madonna zur Gefangenenen ihres Klischees vom ständigen Sich-selbst-neu-Erfindens geworden ist, werden bei Pierre et Gilles selbst so unverwechselbare Charaktere wie die Almodóvar-Darstellerin Rossy de Palma in den Ikonenkanon der heiteren Oberfläche eingereiht. Everyone is an original – aber die Unterschiede, sie verschwimmen.

In anderer Hinsicht betreten Pierre et Gilles tatsächlich Neuland: Sie zählen – sieht man von Mae West ab – zu den ersten, die Sexualität der gleichen Behandlung aus Idealisierung und ironischer Kritik unterziehen, die Sex zum Gegenstand von Camp machen. In James Bidgoods merkwürdig grellem Film über die Verstrickungen von Sexualität und Schuld war Humor nur ein unterschwelliges Moment. Robert Mapplethorpe arbeitete genau entgegengesetzt zu Pierre et Gilles an der Pathetisierung der Homoerotik. Für die beiden Franzosen hingegen gibt es gar keinen Grund, für das Thema Sex eine Exklusivästhetik zu entwickeln. Beredtes Beispiel hierfür ist ihr Foto „Midnight Cowboy“ aus dem Jahr 1995, das einen Pornodarsteller mit enormer Erektion in einer Peepshow, umgeben von plüschigem Kinderspielzeug zeigt. Ein ebenso vertrauensvolles und harmlos-positives Bild wie all ihre anderen Werke auch.

Reinhard Krause, 37, ist taz.mag-Redakteur und freier Fotograf. Im Hamburger Café Gnosa war jüngst seine Fotoausstellung „Gute Form und falsche Damen“ zu sehen.

Literatur: Philippe Garner, David Alan Mellor: „Cecil Beaton“. Photographien 1920 – 1970, Schirmer/Mosel, München 1994, 320 S., 78 Mark.

Pierre et Gilles: „Sämtliche Werke 1976 – 1996“. Taschen, Köln 1997, 356 S., 69,69 Mark.

Bruce Benderson: „James Bidgood“. Taschen, Köln 1999, 176 S., 69,69 Mark.

Stephen Calloway: „Barock – Baroque. Die neue Lust am Exzentrischen“. Callwey, München 1997, 240 S., 168 Mark.