Sex als russisches Roulette

■ Ein neuer Trend bewegt die Schwulen: „Bare Back“ / Den bewußten Sex ohne Gummi erleben einige Menschen offenbar als besonderen Kick / AIDS-Hilfen bleiben vorerst ruhig

Schwule sind nett, lieb und vor allem kreativ. Doch nicht alles, was aus diesen ach so schöpferischen Kreisen kommt, scheint politisch korrekt. Die neueste Mode schwappt direkt aus den internationalen Metropolen in die deutsche Provinz: Safer Sex ist out! Richtig Spaß bringt es nur ohne Gummi, so der Slogan der neuen Bewegung, die unter dem Titel „Bareback“ firmiert.

Vom Slang der Cowboys (“Reiten ohne Sattel“) wandelte sich der Begriff im schwulen Sprachschatz zu einem Synonym für unsafen Sex. Von den Botschaften der AIDS-Hilfen keine Spur mehr. Gib AIDS eine Chance? Riskanter Sex existierte zwar schon immer - trotz endloser Aufklärungskampagnen der AIDS-Hilfen. Zu spontan kann Sex sein, zu wild die Situation. Und auch beim bedachten Miteinander kommt es mal zur Panne.

Neu beim Bareback aber ist die Qualität: Ohne Wenn und Aber wird sich zum neuen Credo bekannt. Vom ehemaligen Dogma des Safer Sex' keine Spur mehr. Wo früher selbstverständlich von sicherem Sex geredet wurde, dient heute die Lust als Rechtfertigung für den Tabubruch.

Auf die Frage nach der Angst vor AIDS gibt es unter den Bareback-Anhängern ganz unterschiedliche Antworten. Einige sind schon seit Jahren HIV positiv und meinen deswegen auf Kondome verzichten zu können. Diskussionen um eine mögliche riskante Doppelinfektion mit HIV wischen sie gern beiseite: „Ich habe eh nichts mehr zu verlieren“, so der 40jährige Klaus(*).

Andere dagegen verdrängen das Problem lieber: „Ich weiß nicht, ob ich positiv bin. Ich will es auch nicht wissen“, so der 26jährige Jens(*) aus Osnabrück. AIDS ist ihm schon bewußt: „Sicher habe ich Angst, aber es ist einfach so geil“, beschreibt er seine Motive. Auch negativ getestete Menschen liebäugeln mit dem neuen Trend.

Der 27jährige Peter aus Düsseldorf (*) verfolgt eine eigene Strategie: „Absolute Sicherheit gibt es eh nicht. Vertrauen muß schon sein“. Da ja beide kein AIDS haben wollten, würden schon beide Partner darauf achten, daß sie negativ seien, so der Rheinländer.

Das Einschätzen des Partners und ein regelmäßiger Test sind auch für Jan(*) (29) die richtige Strategie. Er schwört darauf, daß es einen gewaltigen Unterschied mache, ob man mit oder ohne Kondom Sex haben würde. Wieder dient die Lust als Rechtfertigung. Doch wen interessiert es überhaupt? Sollen doch die, die es wollen, unsafen Sex haben. Oder?

Verständnisvoll mit dem neuen Bareback-Trend gehen die AIDS-Hilfen um. In der Juni-Ausgabe des Oldenburger Szenemagazins „Rosige Zeiten“ nimmt Dr. Dirk Sander für die Oldenburger AIDS-Hilfe Stellung zum Thema: „Das Konzept der AIDS-Hilfen war und ist immer die verstehende Akzeptanz dieses Verhaltens. Unsere parteiliche Solidarität galt und gilt auch weiterhin immer zuerst dem schwächsten Glied in der Kette“.

Weniger tolerant sieht Thorsten Schneider vom Schwulenreferat der Uni Bremen die neue Entwicklung. Er plädiert für eine Verantwortung gegenüber denen, die safen Sex bevorzugen: „Schnell kommt es mal zu einem kleinen Maleur beim Sex. Da ist es auch im Interesse des Partners wichtig, auf seine eigene Gesundheit zu achten“.

Zudem sieht der 25jährige eine enorme Signalwirkung von dem Thema ausgehen: „Was hat das denn für Folgen, wenn unsafer Sex plötzlich normal wird“. Schon jetzt verkommt Safer Sex oft zum Mathematikunterricht: „Das Schlucken von Sperma ist ja nicht so riskant“, rechnet der 21jährige Stefan(*) aus Bremen vor. Er hält es für tausendmal wahrscheinlicher sich mit Hepatitis als mit HIV zu infizieren.

Hat die AIDS-Prävention versagt? Thomas Fenkl von der Bremer AIDS-Hilfe verneint diese Frage: „Die Aufgabe der Prävention ist es, bewußte Entscheidungen zu ermöglichen. Es geht nicht darum, Verhaltensänderungen um jeden Preis zu erreichen“. In diesem Sinne habe die Arbeit der AIDS-Hilfen nicht versagt. „Die Freiheit im Leben ist auch die Freiheit sich zu infizieren“, plädiert Fenkl für Eigenverantwortlichkeit. An einen Roll Back in der Präventionsarbeit mag er noch nicht glauben, ist sich aber auch nicht sicher über die weiteren Konsequenzen, die Bareback mit sich bringt.

Kai Lehmann

(*) Name von der Redaktion geändert