Deutsche Lektionen

■ Pork Pie feiert sein zehnjähriges Jubiläum

Ska ist nicht entstanden, weil jemand aus Versehen mal eine Reggae-Platte auf 45 abgespielt hat. Es war umgekehrt. Lange schon, bevor irgendein bekiffter Jamaikaner mit seinem Baß nicht mehr hinterherkam, gab es Ska.

Mit Ignoranz und Unwissenheit muß sich Matthias Bröckel, den jeder nur Matzge nennt, seit nun zehn Jahren rumschlagen. Zehn Jahre, in denen Bröckel sein Label Pork Pie in einem Hinterhof in der Kreuzberger Forsterstraße zu einer der erfolgreichsten und beständigsten Ska-Plattenfirmen der Welt gemacht hat. Allerdings: Erfolg ist in einem Nischengenre wie Ska relativ zu sehen. Selten verkauft eine Platte mehr als vierstellige Stückzahlen.

Die bestverkaufte Platte der Labelgeschichte steht auch an ihrem Anfang. Die erste von inzwischen vier Compilations, „Ska... Ska... Skandal!“, hat längst Kultstatus erreicht und macht noch heute Umsatz. 1989 hatte Matzge die Idee, erstmals die junge deutsche Ska-Szene zu dokumentieren, und versammelte „7 Ska-Bands From Germany“. Vertreten waren inzwischen legendäre Kapellen wie No Sports, Blechreiz, The Butlers oder Skaos.

Mit Jörg Fucking zusammen betrieb Matzge damals schon seit sechs Jahren das Label Vielklang. Pork Pie gründete man wie andere Vielklang-Sublabels aus strategischen Gründen, die Vermarktung war einfacher mit einem „klar definierten Image“. Den Namen lieh man sich von den kleinen Hüten der englischen Rude Boys und entwickelte sich schnell zur führenden Skafirma auf dem europäischen Festland. Während Ska selbst in England nach dem Abflauen der Two-Tone-Seligkeit immer unbedeutender wurde und heute eigentlich überhaupt keine Rolle mehr spielt, entwickelte sich hierzulande eine überschaubare, aber funktionierende Infrastruktur aus Klubs, Agenturen, Fanzines und kleinen Labels.

Pork Pie ist allerdings nicht überall wohlgelitten in der konservativen Szene, die von Matzge schon einmal die „Ska Polizei“ genannt wird. „Im Ska“, sagt er, „gibt es interessante Entwicklungen.“ Bereits mit solch schlichten Feststellungen macht man sich unbeliebt bei den Traditionalisten. Er selbst ist überzeugter Skinhead, trägt Fred Perry, und auch er hört zu Hause alte jamaikanische Aufnahmen. „Aber es gibt immer Leute, die nur die alten Sachen hören wollen, und damit kann ich als Label natürlich nichts anfangen.“

Eines der letzten Pork-Pie-Produkte ist die Compilation „Die Deutschstunde, Lektion 1“, auf der erstmalig ausnahmslos deutschsprachige Ska-Stücke versammelt werden – für Teile der Szene ein Affront gegen die reine Lehre. Erst in den letzten zwei, drei Jahren entstanden Bands wie Das Kartell aus Lübeck oder Frau Doktor aus Wiesbaden, die ausschließlich deutsch texten, oder Blascore aus Potsdam und Berlin, die alte DDR-Gassenhauer mit Offbeat versehen. Pünktlich zum zehnten Jubiläum von Pork Pie bricht also im deutschen Ska eine neue Zeitrechnung an.

Thomas Winkler

Jubiläums-Feier mit Bad Manners, Spitfire, Blascore, Das Kartell, mit Ska-Karaoke, Staubsauger-Contest und Sound System, Sa, 27. 6., ab 14 Uhr, Pfefferberg, Schönhauser Allee 176, Prenzlauer Berg